Kleine Zeitung Kaernten

Im Iran wurden die USA gefeiert

Erfolg des US-Teams und WM-Aus des Iran wurde von der Protestbew­egung als Sieg gefeiert.

- Von Thomas Seibert aus Istanbul

Feuerwerke erleuchten den Nachthimme­l, Menschen klatschen, singen und tanzen auf den Straßen, Autofahrer hupen und recken die Finger zum Siegeszeic­hen hoch: Tausende Iraner haben die 0:1-Niederlage ihres Nationalte­ams gegen die USA in Katar gefeiert. Für sie ist das WM-Aus des Iran eine Niederlage der Islamische­n Republik und ein Schub für die Protestbew­egung. Einige Iraner schwenkten sogar amerikanis­che Fahnen, die sonst bei Kundgebung­en des Regimes als Zeichen der Feindschaf­t mit dem „Großen Satan“USA verbrannt werden.

In der Stadt Sakes im iranischen Kurdengebi­et begannen die Fei- ern bereits nach dem US-Führungstr­effer.

Sakes ist die Heimatstad­t von Mahsa Amini, jener 22-jährigen Frau, deren Tod in den Händen der Religionsp­olizei im September die Protestwel­le gegen das Regime ausgelöst hatte. Auch in der Hauptstadt Teheran und anderen iranischen Städten gingen die Menschen zum Feiern auf die Straße, wie Videos von Dissidente­n zeigten. Nach Opposition­sangaben setzte die Polizei mancherort­s Schlagstöc­ke und scharfe Munition gegen die Teilnehmer einiger Kundgebung­en ein. Und nicht alle Iraner freuten sich über den Misserfolg. In Teheran reagierten einige Zuschauer nach Medienberi­chten enttäuscht. Regierungs­politiker, die den 2:0-Sieg gegen Wales noch überschwän­glich gefeiert und gratuliert hatten, äußerten sich am Mittwoch aber nicht zum WM-Aus.

Die iranischen Spieler waren zuletzt zwischen die Fronten geraten. Regimegegn­er warfen dem Team vor, sich zum Werkzeug der Regierungs­propaganda machen zu lassen und nicht deutlich genug gegen das Leid der Menschen im Iran Stellung zu beziehen. Das Regime wiederum

hoffte gegen die USA auf sportliche Erfolge. Gleichzeit­ig bemühte sich die iranische Regierung in Zusammenar­beit mit den Behörden in Katar, opposition­elle Kundgebung­en bei den WM-Spielen zu verhindern. Iranischen Fans wurden TShirts mit Slogans oder Utensilien mit Hinweisen auf Mahsa Amini von den Rängen geholt oder gar nicht erst nicht in die Stadien gelassen. Nun aber wird der Erfolg der US-Fußballer zu einem Triumph der Protestbew­egung.

Vorbei seien die Zeiten, als die Iraner stolz auf ihre Mannschaft gewesen seien, schrieb die Aktivistin Atena Daemi auf Twitter.

Früher hätten die Leute ihre Mannschaft mit dem Lied „Heute ist ein glückliche­r Abend“besungen – nach der Niederlage gegen die USA werde das Lied jetzt von den „Revolution­ären“im Iran angestimmt. Viele Iraner lehnten die Nationalel­f ab, weil sie dem Regime zugeordnet werde, sagt der türkische Iran-Experte Arif Keskin, dasselbe gelte für die iranische Staatsflag­ge und die Nationalhy­mne.

Dass die USA in der Nacht auf iranischen Straßen gefeiert wurden, war für Keskin keine Überraschu­ng. Seit der islamische­n Revolution von 1979, als US-Diplomaten in Teheran als Geiseln genommen wurden, Demonstran­ten in Teheran „Tod den USA“riefen und der Iran und die USA ihre diplomatis­chen Beziehunge­n abbrachen, habe es einen Generation­swechsel gegeben. „Die iranische Gesellscha­ft ist nicht mehr dieselbe wie die von 1979“, sagte Keskin. Die Iraner von heute hegten keine Feindschaf­t gegen Amerika, den Westen oder Israel.

Dagegen beschwören Revolution­sführer Khamenei und andere Spitzenpol­itiker diese Feindschaf­t bei jeder Gelegenhei­t. Beim Spiel gegen die USA habe das Regime auf einen Propaganda-Erfolg gehofft, sagte Karim Sadjadpur von der USDenkfabr­ik Carnegie Endowment dem Sender MSNBC. Deshalb sei es jetzt „richtig peinlich für das Regime, dass Tausende Iraner den Sieg Amerikas feiern“.

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AP In Katar beweinte dieser Junge das Aus des Iran – im Iran feierte die Protestbew­egung den Sieg der USA

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