Kleine Zeitung Kaernten

„Regionalge­schichte ist völlig liquidiert“

Historiker Wilhelm Wadl (68) ist neuer Vorsitzend­er des Geschichts­vereines Kärnten.

- Andreas Kanatschni­g geschichts­verein.ktn.gv.at

Welche Aufgaben hat der Geschichts­verein? WILHELM WADL: Die große Aufgabe ist es, Wissenscha­ft zu ermögliche­n, und dass etwas veröffentl­icht wird. Wir sind ja die große Publikatio­nsschiene. Dafür haben wir die Carinthia als älteste Zeitschrif­t Österreich­s, die 1811 das erste Mal erschienen ist. Gerade in einer Zeit, in der das Publiziere­n schwierige­r wird und auch an den Universitä­ten und Akademien alles den Bach hinunter geht, sind wir ein sicherer Anker. Unsere zweite große Aufgabe ist das Vermitteln – und das in möglichst lockerer, populärwis­senschaftl­icher Form. Außerdem haben wir verschiede­ne Formate von der Buchpräsen­tation bis hin zur Kulturreis­e.

Gibt es Felder in der Forschung Kärntens, die noch stärker bearbeitet gehören?

Ja, es reißen immer neue Felder auf. Derzeit läuft ein archäologi­sches Forschungs­unternehme­n über Pfahlbaute­n am Wörthersee, da haben wir auch einen Förderantr­ag liegen, aber unsere finanziell­en Mittel reichen nicht aus, um allen, die etwas machen wollen, unter die Arme zu greifen. Unsere wesentlich­e Unterstütz­ung ist das Publiziere­n.

Sie haben 3000 Mitglieder. Verändert sich die Struktur beziehungs­weise ist es schwierige­r, an Junge heranzukom­men?

Wir müssen ständig arbeiten, um unser Mitglieder­potenzial zu halten. Von einer Fluktuatio­n

von 100 Personen im Jahr ist auszugehen. Doch sind wir Spitze im Vergleich zu anderen Bundesländ­ern, wo es oft nur unter 1000 Mitglieder sind. Wir versuchen auch, an geschichts­interessie­rte junge Menschen heranzukom­men, daher haben wir auch einen Preis für vorwissens­chaftliche Arbeiten gestiftet. Doch darf man sich da keinen Illusionen hingeben, das Interesse an Geschichte ist meist erst dann vorhanden, wenn man selber eine Geschichte hat.

Mit welchen Veränderun­gen ist man konfrontie­rt?

Ein Problem ist, dass die Regionalge­schichte völlig liquidiert ist. In der Schule wird der Unterricht auf ein paar Zeitgeschi­chtethemen reduziert, von zeitlicher Tiefendime­nsion ist aber keine Rede mehr. Und das, obwohl es keine Notwendigk­eit zur Normierung gibt, weil es ja keine Zentralmat­ura in Geschichte gibt. Da hätte man im Unterricht auch die Freiheit. Die traditione­lle Anbindung an den Geschichts­verein ist vonseiten der Lehrerscha­ft ausgedünnt. Interessan­t ist auch, dass die Zeit nach 1945 kaum bearbeitet ist und auf kaum Interesse stößt. Da sehe ich noch große Lücken. Man muss auch sagen, dass es im Rechtliche­n und im Datenschut­zbereich Probleme gibt und es für das Archivwese­n enorm schwierig geworden ist.

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TRAUSSNIG Historiker Wilhelm Wadl

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