„Regionalgeschichte ist völlig liquidiert“
Historiker Wilhelm Wadl (68) ist neuer Vorsitzender des Geschichtsvereines Kärnten.
Welche Aufgaben hat der Geschichtsverein? WILHELM WADL: Die große Aufgabe ist es, Wissenschaft zu ermöglichen, und dass etwas veröffentlicht wird. Wir sind ja die große Publikationsschiene. Dafür haben wir die Carinthia als älteste Zeitschrift Österreichs, die 1811 das erste Mal erschienen ist. Gerade in einer Zeit, in der das Publizieren schwieriger wird und auch an den Universitäten und Akademien alles den Bach hinunter geht, sind wir ein sicherer Anker. Unsere zweite große Aufgabe ist das Vermitteln – und das in möglichst lockerer, populärwissenschaftlicher Form. Außerdem haben wir verschiedene Formate von der Buchpräsentation bis hin zur Kulturreise.
Gibt es Felder in der Forschung Kärntens, die noch stärker bearbeitet gehören?
Ja, es reißen immer neue Felder auf. Derzeit läuft ein archäologisches Forschungsunternehmen über Pfahlbauten am Wörthersee, da haben wir auch einen Förderantrag liegen, aber unsere finanziellen Mittel reichen nicht aus, um allen, die etwas machen wollen, unter die Arme zu greifen. Unsere wesentliche Unterstützung ist das Publizieren.
Sie haben 3000 Mitglieder. Verändert sich die Struktur beziehungsweise ist es schwieriger, an Junge heranzukommen?
Wir müssen ständig arbeiten, um unser Mitgliederpotenzial zu halten. Von einer Fluktuation
von 100 Personen im Jahr ist auszugehen. Doch sind wir Spitze im Vergleich zu anderen Bundesländern, wo es oft nur unter 1000 Mitglieder sind. Wir versuchen auch, an geschichtsinteressierte junge Menschen heranzukommen, daher haben wir auch einen Preis für vorwissenschaftliche Arbeiten gestiftet. Doch darf man sich da keinen Illusionen hingeben, das Interesse an Geschichte ist meist erst dann vorhanden, wenn man selber eine Geschichte hat.
Mit welchen Veränderungen ist man konfrontiert?
Ein Problem ist, dass die Regionalgeschichte völlig liquidiert ist. In der Schule wird der Unterricht auf ein paar Zeitgeschichtethemen reduziert, von zeitlicher Tiefendimension ist aber keine Rede mehr. Und das, obwohl es keine Notwendigkeit zur Normierung gibt, weil es ja keine Zentralmatura in Geschichte gibt. Da hätte man im Unterricht auch die Freiheit. Die traditionelle Anbindung an den Geschichtsverein ist vonseiten der Lehrerschaft ausgedünnt. Interessant ist auch, dass die Zeit nach 1945 kaum bearbeitet ist und auf kaum Interesse stößt. Da sehe ich noch große Lücken. Man muss auch sagen, dass es im Rechtlichen und im Datenschutzbereich Probleme gibt und es für das Archivwesen enorm schwierig geworden ist.