Kleine Zeitung Kaernten

Leben, lieben, loslassen

Emily Atefs tieftrauri­ges, aber zugleich tröstliche­s Drama über eine schwer kranke Frau berührt: Vicky Krieps zeigt ihre Schauspiel­kunst.

- Von Julia Schafferho­fer

Irgendwann gibt Hélène in die Suchmaschi­ne im Internet ein: „Was tun, wenn man stirbt“. Sie stößt auf den Blog von „Mister“. Lakonisch berichtet er von seinem Leben mit der Diagnose „unheilbar“. Die junge Frau aus Bordeaux schreibt ihn an und findet in ihm einen Vertrauten. Einen, der ihre Situation kennt und in ihr nicht die Patientin, sondern einen Menschen sieht.

Sie bricht zu ihm nach Norwegen auf und aus ihrem Leben aus. Es ist ihre erste Reise alleine – und womöglich ihre letzte. Denn Hélène ist krank, schwer krank. Eine Lungentran­splantatio­n könnte ihr eventuell helfen. Die Chancen stünden 50:50. Sie muss sich entscheide­n, ob sie das möchte.

Wenn sie im tiefblauen Wasser im norwegisch­en Fjord schwimmt und die Felsen rundum mit schneebede­ckter Spitze aufragen, scheint die Welt in Ordnung. Ihr Mann Matthieu kann das nicht verstehen. „Mister“schon. Er sagt Sätze zu ihr wie: „Du bist diejenige, stirbt, du entscheide­st.“

Regisseuri­n Emily Atef („3 Tage in Quiberon“) hat keinen Film über das Sterben gemacht, sondern – ganz im Gegenteil – einen über das Leben, das Lieben, das Loslassen. Hélènes Reise Richtung Norden ist eine Flucht vor ihren Freunden, Bekannten und ihrem Liebsten. Denn die wissen nicht, wie man mit ihr umgehen soll, behandeln sie wie ein rohes Ei, versuchen, sich über die Situation hinwegzulä­cheln. Das verletzt sie, wie man bei einem Essen der Clique sehen kann. Die Stimmung ist ausgelasse­n, nur um Hélène bleibt es still, manche merken an: „Schön, dass du gekommen bist.“Dazu eine Das-WirdSchon-Wieder-Beruhigung. die

Der Trip nach Norwegen entpuppt sich als Reise zu sich selbst und zueinander. „Es ist komisch. Ich bin zwar krank, aber gleichzeit­ig geht es mir gut“, erzählt sie ihrem Partner in Frankreich. Der ist verzweifel­t, reist ihr nach und kann nicht verstehen, dass sie plant, sich gegen eine Transplant­ation zu wenden. „Wenn ich dich sehe, sehe ich, was wir hätten sein können“, sagt sie zu ihm. Nachsatz: „Und das, was wir nie wieder sein werden!“Und es ist nur einer von vielen starken, einfühlsam­en Dialogen (Drehbuch: Emily Atef, Lars Hubrich) in „Mehr denn je“.

Vicky Krieps verkörpert­e zuletzt in Marie Kreutzers vielfach ausgezeich­neten Sisi-Film „Corsage“die Kaiserin, und auch hier brilliert sie mit ihrem Schauspiel und ihrer Durchlässi­gkeit. Ihr Ausdruck changiert zwischen verzweifel­t und trotzig auf furiose Weise und sie führt ein tolles Ensemble mit Bjørn Floberg als „Mister“und dem im Jänner verstorben­en Gaspard Ulliel in seiner letzten Rolle vor lichtdurch­fluteter Naturkulis­se an.

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