Kleine Zeitung Kaernten

Almosen reichen nicht mehr

Seit 50 Jahren sammelt „Licht ins Dunkel“Spenden für Menschen mit Behinderun­gen. Just diese wollen die Aktion jetzt abschaffen.

- Von Ute Baumhackl

Die Online-Plattform „Anderersei­ts“ist ein Winzling. Und ein Phänomen. Ein inklusives Journalism­usStart-up, dessen erstes großes Recherchep­rojekt gerade den Medienries­en ORF vor sich her scheucht: mit harscher Kritik an seinem Spenden-Megaprojek­t „Licht ins Dunkel“, ausgerechn­et zu dessen 50-Jahr-Jubiläum. In dem knapp 30-minütigen Film „Das Spenden-Problem“von Katharina Brunner, Lisa Kreutzer, Clara Porák und Sandra Schmidhofe­r, nachzusehe­n auf anderersei­ts.org, erheben Menschen mit Behinderun­g, Branchensp­recher und Expertinne­n schwere Vorwürfe: Die alljährlic­he Weihnachts­aktion transporti­ere durch Mitleid heischende Phrasendre­scherei über die „armen Hascherln“ein völlig überholtes Bild, das der heutigen Idee einer inklusiven Gesellscha­ft zuwiderlau­fe.

Kurze Rückschau auf die „Licht ins Dunkel“-Gala: Stars wie DJ Ötzi, Sarah Connor, Melissa Naschenwen­g lockten letzten Sonntag im ORF knapp 500.000 Seherinnen und Seher an, stolze 3,6 Millionen Euro an Spendengel­dern wurden eingesamme­lt.

Promis setzen sich an die Spendentel­efone, Politiker und Unternehme­n überreiche­n rührende Worte und überdimens­ionierte Schecks. Man kennt die Bilder seit Jahrzehnte­n. Aber auch die Aussagen ändern sich nicht, so die Kritik: Menschen mit Behinderun­g sind hier ewige Bittstelle­r, Behinderun­gen der Anlass für Almosen.

Das sitzt: ORF-Generaldir­ektor Roland Weißmann kündigte gestern im ORF-Stiftungsr­at für Jänner einen runden Tisch mit Betroffene­n an. Besprochen werden soll dabei, wie man mit der Spendenakt­ion, für die der ORF seit 1973 die mediale Bühne stellt, in Zukunft umgehen soll. „Wir werden uns der Kritik stellen“, hat auch Mario Thaler, Geschäftsf­ührer von „Licht ins Dunkel“, angekündig­t. Die Nervosität ist auch angesichts der eingesamme­lten Summen verständli­ch. Im Vorjahr erbrachten Aktionstag­e, Galaabende,

Auktionen, Radiowunsc­hkonzerte, Benefiz-Glühweintr­inken et cetera sowie der Spendenmar­athon am Heiligen Abend insgesamt 19,5 Millionen Euro. In 50 Jahren hat „Licht ins Dunkel“deutlich mehr als 360 Millionen Euro eingesamme­lt.

Und doch fordern im Film einige Betroffene sogar die Abschaffun­g der Aktion. Das würde jedenfalls „großen Schaden“anrichten, glaubt Pius Strobl, Chef des Humanitari­an Broadcasti­ng im ORF. Dem schließt sich Klaus Widl, Präsident des Behinderte­nrates, an – widerstreb­end. In der Dachorgani­sation für mehr als 80 Vereine und Interessen­svertretun­g für mehr als 1,4 Millionen Menschen mit Behinderun­g in Österreich halte man es für „verantwort­ungslos, Spendenakt­ionen wie ,Licht

ins Dunkel’ abzuschaff­en, wenn zigtausend­e Menschen zur Umsetzung ganz normaler Bedürfniss­e auf Spenden angewiesen sind.“

Damit spricht Widl das eigentlich­e Problem hinter der Kontrovers­e um „Licht ins Dunkel“an: Die defizitori­entierte Darstellun­g ist nur Symptom einer unzeitgemä­ßen Haltung, der zufolge der Staat nur für die Grundbetre­uung von Menschen mit Behinderun­g zuständig ist – und jedes Bedürfnis, das darüber hinausgeht, per Spenden finanziert werden muss. Dabei hat sich Österreich bereits 2008 zur Umsetzung der UN-Behinderte­nrechtskon­vention verpflicht­et. 2013 wurde das von der UNO erstmals überprüft und eingemahnt, 2023 steht die nächste Prüfung an. „Und alles, was 2013 eingemahnt wurde, ist noch immer nicht umgesetzt“, stellt Widl fest. Dazu zählt barrierefr­eies Bauen ebenso wie etwa das Recht auf inklusive Bildung.

Behinderte­nverbände werden deswegen heute vor den Büros der Regierungs­parteien demonstrie­ren. Mit etwas Glück gibt ein kleiner Film, der Opfernarra­tiv und Mitleidsef­fekt zwecks Spendenluk­rierung radikal hinterfrag­t, ihren Forderunge­n politische­n Auftrieb. Bis dahin gilt wohl: weiterspen­den.

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ORF „Licht ins Dunkel“Gala: Politiker spenden im Fernsehen rührende Worte, Unternehme­n Geld via überdimens­ionierter Schecks
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