Säbelrasseln statt Dialog im Kosovo
Der Barrikadenstreit im überwiegend serbisch besiedelten Nordkosovo hält an: Belgrad und Prishtina graben sich weiter tief in ihren Positionen ein.
Statt Versöhnungsbotschaften tauschen die Würdenträger der einstigen Kriegsgegner vor dem Jahreswechsel nur düstere Drohgebärden aus. „Wir drohen nicht mit leeren Flinten“, verkündete Serbiens Verteidigungsminister Miloˇs Vucˇevic´ nach einem Truppenbesuch an der Grenze zu Kosovo. Belgrad werde nicht von der „roten Linie“des Schutzes der serbischen Landsleute im Kosovo abrücken: „Die Armee ist bereit, Serbien und seine Bürger zu schützen.“Prishtina habe es sich zum Ziel gesetzt, „die Serben für alle Zeiten aus Kosovo zu vertreiben“, poltert Serbiens allgewaltiger Staatschef Aleksandar Vucˇic´.
Während Serbien seine Streitkräfte erneut in „höchste Kampfbereitschaft“versetzt hat, zeigt sich Kosovos Premier Albin Kurti unbeeindruckt. Falls die internationale KFORSchutztruppe nicht imstande sei, die Straßenbarrikaden im Nordkosovo zu räumen, werde dies eben die Kosovo-Polizei tun: „Und dies kann nicht Monate oder Wochen dauern.“
Schon seit Jahren versucht die EU, Serbien und den seit 2008 unabhängigen, aber von Bel
nicht anerkannten Kosovo zu einer Normalisierung ihrer labilen Nachbarschaftsehe zu bewegen: Ein im Sommer von Berlin und Paris vorgelegter Kompromissvorschlag sieht zumindest faktische gegenseitige Anerkennung vor.
Doch ob beim Streit um Ausweispapiere oder Kfz-Kennzeichen: Seit Monaten liegen die Balkan-Streithähne im verschärften Dauerclinch. Fast drei Wochen wogt nun der eskalierende Barrikadenstreit im überwiegend serbisch besiedelten Nordkosovo. Offiziell wollen die dort von Belgrad in Marsch gesetzten Kosovo-Serben mit Straßenblockaden den Abzug der Kosovo-Polizei, die Freilassung von drei festgenommenen Landsleuten und die bereits 2013 zugesagte, aber unverwirklichte Schaffung eines Verbands der serbischen Kommunen erzwingen. Tatsächlich geht es auch um die Macht im Nordwestzipfel des Kosovo, wo rund 35.000 bis 50.000 der 100.000 bis 120.000 Kosovo-Serben leben. Auch nach Ende des KosovoKriegs 1999 hatte Serbien die Geschicke im Nordkosovo noch lange diktiert. Seit Kosovos Unabhängigkeit 2008 gibt es Spekulationen über eine mögliche Abtrennung des Nordkosovos, um die Belgrader Ansprüche auf die Ex-Provinz zu befrieden: Die EU lehnt das strikt ab.
Warum aber köchelt der Streit um Kosovo fast 15 Jahren nach der Unabhängigkeit? Eine These ist, das beide Seiten ihre Position in Nordkosovo erst verbessern wollten, bevor sie sich an das Tauziehen um das von der EU geforderte Nachbarschaftsabkommen machen. Eine andere ist, dass Vucˇic´ der deutsch-französische Vorschlag keineswegs zusage oder er nur von innenpolitischen Problemen ablenken wolle.
Beide Seiten graben sich im Barrikadenkampf immer tiefer in ihren Positionen ein. Vucˇic´ beschimpft Kurti als „terroristigrad
schen Abschaum“– und Kurti sieht auf den Barrikaden Pseudo-Tschetniks oder GruppeWagner-Nachahmer am Werk.
Droht dem Westbalkan ein neuer Waffengang? Düstere Kriegsszenarien werden vor allem von Serbiens Würdenträgern und nahestehenden Medien gemalt. Das Land stehe „am Rand eines bewaffneten Konflikts“, so Serbiens Regierungschefin Ana Brnabic´, „Serben im Visier der Scharfschützen!“, warnt die Zeitung „Vesti“.
Beide Seiten rasseln so kräftig wie lange nicht mehr mit den Säbeln. Einen weiteren Waffengang in Europa dürfte der Westen indes kaum zulassen. Ohnehin wäre Serbiens Armee trotz der Aufrüstung mit russischen Altwaffen den KFOR-Truppen hoffnungslos unterlegen. Prishtina und Belgrad scheinen ohne Druck von außen zu einer Verständigung kaum noch in der Lage. Gestern schloss der Kosovo Merdare, den größten Grenzübergang zum Nachbarn.