Bewusster Genuss statt Verbote
Wie viel, wann und was? Fragen zum Essen kreisen in den meisten Köpfen herum. Ernährungsexpertin Cornelia Fiechtl erklärt, warum wir uns die falschen Fragen stellen, wenn es um Ernährung geht.
Essen spielt für viele Menschen eine sehr große Rolle. Wir denken ständig darüber nach, was und wie viel wir zu uns nehmen sollen. Warum ist das so? CORNELIA FIECHTL: Ich glaube, einer der größten Faktoren ist das Schlankheitsideal, das in unserer Gesellschaft gilt. Dem will man natürlich entsprechen. Und leider wird in den Medien und Filmen immer dieses Bild vermittelt: Wenn ich aufpasse, was ich esse, und immer diszipliniert bin, dann erreiche ich das. In unserer Gesellschaft gilt auch ein Gesundheitsparadigma, welches auch vorgibt: Wenn man schlank ist, ist man auch gesund. Das heißt, die unmittelbare Verknüpfung von schlank und gesund, dick und ungesund, führt natürlich auch dazu, dass eine falsche Ausrichtung stattfindet.
Ist das Erreichen einer gesunden Einstellung zum Essen also wichtiger als der „passende“BMI?
Unbedingt. Ich glaube, die Beziehung zum Essen ist das Wichtigste. Dazu muss man sich folgende Fragen stellen: Wie ist mein Essverhalten?
Habe ich jetzt eigentlich Hunger? Wie fühlt sich Hunger an in seinen Intensitäten? Und was ist Sättigung? Hier geht es darum, mehr in den eigenen Körper hineinzuspüren. Denn Gesundheit hängt ganz viel mit dem Verhalten zusammen. Es macht einen Unterschied, ob ich meine perfekt berechnete Mahlzeit im Gehen und im vollen Stress esse – oder ob ich mich hinsetze, mir Zeit nehme und genau spüre, was mir guttut. Das wären eigentlich wichtigere Verhaltensweisen, als Kalorien zu zählen.
Sollte man sich also nichts verbieten, sondern eher einen gesunden Umgang mit allen Lebensmitteln finden?
Völlig richtig. Ich könnte mich natürlich in meiner Wohnung einsperren und all diese „bösen“Lebensmittel nicht mehr konsumieren. Und das wird funktionieren. Aber sobald ich in der Gesellschaft unterwegs bin, kann ich diesen Lebensmitteln nicht mehr aus dem Weg gehen. Es braucht die völlige Freigabe zu essen, was und so viel ich möchte – nur so kommt
Cornelia Fiechtl ist Klinische Psychologin und Gesundheitspsychologin mit dem Schwerpunkt Essverhalten und Körpergefühl. Mehr zum Thema kann man in Cornelia Fiechtls Buch nachlesen: Food Feelings. Kremayr & Scheriau. 160 Seiten, 22 Euro.
der Kopf aus dem SchwarzWeiß-Denken. Und dann ist es ganz wichtig, dass Menschen lernen, wieder auf den Körper zu hören. Auch Studien zeigen, dass dieses Übermaß gar nicht erst entsteht, wenn man die Freigabe hat, ohnehin immer essen zu dürfen, was man möchte.
Was braucht es, um ein gesundes Essverhalten zu etablieren?
Es braucht vor allem ein bewusstes und systematisches Vorgehen. Dazu muss man Übungen erlernen, die zur Routine werden müssen. Ein erster Schritt kann sein, auf Social Media jenen Accounts zu entfolgen, die nicht guttun. Dann kann ich damit beginnen, mir alle Lebensmittel zu erlauben. Ich kann anfangen, Hunger zu spüren, das Nächste ist, die Sättigung zu spüren. Und dann kann ich mich wieder daran annähern, Bewegung als etwas Freudvolles zu erleben. Denn es ist sehr wichtig, dass ich lerne, Bewegung nicht zu machen, um Kalorien zu verbrennen, sondern einfach das tue, was dem Körper guttut und Spaß macht.
Und mit diesen Strategien funktioniert es, dass man sich trotz Freiheiten nicht überisst?
Was entsteht, ist ein natürliches Essverhalten. Menschen, die sich gewisse Lebensmittel verbieten, essen dann bei einer Feier etwa gleich sechs Knödel, nach dem Motto: Die gibt es ja nur heute. Aber Menschen, die ein natürliches Essverhalten erlernt haben, essen zwar auch etwas von den Knödeln, aber viel weniger, weil diese ja keine verbotene Ausnahme sind. Und sie können diese viel mehr genießen. Dann habe ich von einer kleineren Menge auch viel mehr emotionale Befriedigung. Und das ist es, was ganz viel ausmacht.