„Recycling ist eine große Lüge“
Der deutsche Öko-Pionier und Erfinder des „Cradle to Cradle“-Prinzips Michael Braungart über echte Kreislaufwirtschaft und wie sie gelingen kann.
Das Stichwort „recyclingfähig“oder „aus recycelten Materialien hergestellt“wird in der Klimakrise zunehmend zum Kauf- und Verkaufsargument. Gerade Sie als Chemiker und Öko-Pionier stehen dem sehr kritisch gegenüber. Warum? MICHAEL BRAUNGART: Es ist so, dass ein Recycling gar nicht stattfindet, weil die Dinge ja gar nicht für Recycling entwickelt werden, das ist alles eine große Lüge. Ich darf Ihnen ein einfaches Beispiel geben: Es ist noch nie ein Auto zu einem Auto recycelt worden. Es wird immer nur primitiver Betonstahl daraus gemacht. Damit sind alle Grundmetalle weg: Chrom, Nickel, Kobalt, Bismut, Mangan, Antimon, Molybdän – alle wichtigen Stahllegierungsanteile sind dann im Betonstahl, und zwar in einem schlechten. Oder nehmen wir ein Mobiltelefon: Telekom und Co sagen immer, man soll das Handy zurückbringen, damit es recycelt wird. Stimmt gar nicht: Von 41 seltenen Elementen, die wir darin finden, werden gerade neun zurückgewonnen. Auch Kunststoffe werden nicht recycelt, das ist eine große Lüge. Was stattfindet, ist Downcycling: Durch den Prozess werden die Kunststoffe immer minderwertiger – das kann man zwar ein paarmal machen, aber nicht endlos. Und wenn man aus PETFlaschen etwa Textilien herstellt, hat man große Probleme, weil in den Waschmaschinen Unmengen von Mikroplastik entsteht, das sich nicht abbaut. Ein Drittel des Mikroplastiks in der Donau ist Abrieb von Textilien, über 50 Prozent Abrieb von Autoreifen.
Man müsste anders an das Thema herangehen? die Dinge, die verschleißen, wie etwa Schuhsohlen, Bremsbeläge und Autoreifen, müsste man so machen, dass sie in biologische Systeme zurückgehen, biologisch abbaubar sind. Und Gegenstände, die nur genutzt werden, wie etwa Fernseher oder Waschmaschinen, müsste man im Eigentum der Hersteller lassen und nur die Nutzung verkaufen, dann könnte der Hersteller Dinge produzieren, bei denen sich Recycling wirklich lohnt. Eine jetzige Waschmaschine enthält 80 verschiedene Plastiksorten, weil der Hersteller immer einen Kompromiss zwischen Qualität und Preis eingehen muss. Mit den 80 Sorten ist nichts anzufangen. Ein anderes Beispiel: Bei Hofer in Österreich sind allein in den Verpackungen der verschiedenen Marken, die dort verkauft werden, 52 verschiedene Plastiksorten enthalten, da ist nichts mit Recycling. Das Zeug ist dafür nicht geeignet.
Das klingt so, als wären wir komplett auf dem Irrweg – oder findet tatsächlich schon eine Korrektur statt?
Na ja, man kann Geschäftsmodelle ändern. Es ist jetzt wichtig zu begreifen, dass die Dinge keine Lebensdauer haben, wir projizieren immer Leben in tote Gegenstände, und dann wollen wir Langlebigkeit haben. Der größte Albtraum ist aber eine Waschmaschine, die 40 Jahre hält. Weil die Innovation dann nie auf den Markt kommt und ich als Hersteller nie weiß, wann mir das Material wieder zur Verfügung steht. Was wir brauchen, ist eine echte, definierte Nutzungszeit. Ich verJa,
kaufe den Leuten zum Beispiel keine Waschmaschine, sondern 3000-mal Waschen für neun Jahre, die nicht genutzten Waschgänge können auf die neue Waschmaschine angerechnet werden. Ich will ja von Innovationen profitieren, ich will eine Waschmaschine, die zum Beispiel Mikroplastik zurückhalten kann, die keine giftigen Stoffe in sich hat und statt 80 billiger Kunststoffe nur eine Handvoll Kunststoffe. Das geht, wenn ich den Leuten nur die Dienstleistung Waschen verkaufe und nicht die Maschine.
Für Konsumenten wird es dann aber teurer.
Nein, ganz im Gegenteil. Europas größter Fensterhersteller verkauft zum Beispiel mit den Fenstern jedes Jahr 70.000 Tonnen Aluminium, aber keiner von uns braucht das Aluminium. Wenn er es behält und nur die Nutzung verkauft, hat er zwar noch einen Logistikkostenanteil, aber dieses Aluminium ist 300 Millionen Euro wert. Dann hat er jedes Jahr 300 Millionen Gutschrift, kann seine Fenster zum gleichen Preis anbieten und verdient zusätzlich Geld. Jetzt hofft der Hersteller, dass das Fenster nach spätestens 30 Jahren kaputtgeht, damit er das nächste verkaufen kann.
Reparierbarkeit ist Thema?
gar kein
Nein, ich will kein Recht auf Reparierbarkeit, ich will ein Recht auf Intaktheit. Sonst plant der Hersteller ja gleich ein, dass sein Produkt repariert werden muss, und er verdient daran. Das ist nur eine zusätzliche Subvention der Hersteller.
Wo funktioniert echte schon?
Kreislaufwirtschaft
Es gibt inzwischen schon über 16.000 Produkte auf der Welt, die dem Prinzip „Cradle to Cradle“entsprechen, zertifiziert von einer gemeinnützigen Stiftung. Das ist nicht wenig. Zumtobel hat sich zum Beispiel noch 2001 über mich lustig gemacht, jetzt verkaufen sie nicht mehr LEDs, sondern die Lichtleistung und können damit viel bessere Dinge machen, und das kommt viel günstiger, weil nur die Nutzung verkauft wird.
Nachhaltigkeit also nicht Verzicht?
bedeutet
Nein, überhaupt nicht. Schauen Sie sich einen Kirschbaum im Frühling an, der vermeidet auch nicht, der spart nicht, der reduziert nicht. Der ist nützlich, nicht „weniger schädlich“. Wir haben das Falsche optimiert und es dadurch gründlich falsch gemacht. Graz zum Beispiel will klimaneutral sein, etwas Dümmeres gibt es nicht. Ein Baum ist auch nicht klimaneutral, der ist nützlich. Warum will Graz nicht klimapositiv sein? Das Knowhow dafür ist da. Es gibt sonst kein Land auf der Welt, das so viel Know-how hat über echte Kreislaufwirtschaft wie Österreich. Deutschland hat sich nach der Wiedervereinigung ja 15 Jahre aus der Diskussion ausgeklinkt.