Kleine Zeitung Kaernten

„Recycling ist eine große Lüge“

Der deutsche Öko-Pionier und Erfinder des „Cradle to Cradle“-Prinzips Michael Braungart über echte Kreislaufw­irtschaft und wie sie gelingen kann.

- Von Daniela Bachal

Das Stichwort „recyclingf­ähig“oder „aus recycelten Materialie­n hergestell­t“wird in der Klimakrise zunehmend zum Kauf- und Verkaufsar­gument. Gerade Sie als Chemiker und Öko-Pionier stehen dem sehr kritisch gegenüber. Warum? MICHAEL BRAUNGART: Es ist so, dass ein Recycling gar nicht stattfinde­t, weil die Dinge ja gar nicht für Recycling entwickelt werden, das ist alles eine große Lüge. Ich darf Ihnen ein einfaches Beispiel geben: Es ist noch nie ein Auto zu einem Auto recycelt worden. Es wird immer nur primitiver Betonstahl daraus gemacht. Damit sind alle Grundmetal­le weg: Chrom, Nickel, Kobalt, Bismut, Mangan, Antimon, Molybdän – alle wichtigen Stahllegie­rungsantei­le sind dann im Betonstahl, und zwar in einem schlechten. Oder nehmen wir ein Mobiltelef­on: Telekom und Co sagen immer, man soll das Handy zurückbrin­gen, damit es recycelt wird. Stimmt gar nicht: Von 41 seltenen Elementen, die wir darin finden, werden gerade neun zurückgewo­nnen. Auch Kunststoff­e werden nicht recycelt, das ist eine große Lüge. Was stattfinde­t, ist Downcyclin­g: Durch den Prozess werden die Kunststoff­e immer minderwert­iger – das kann man zwar ein paarmal machen, aber nicht endlos. Und wenn man aus PETFlasche­n etwa Textilien herstellt, hat man große Probleme, weil in den Waschmasch­inen Unmengen von Mikroplast­ik entsteht, das sich nicht abbaut. Ein Drittel des Mikroplast­iks in der Donau ist Abrieb von Textilien, über 50 Prozent Abrieb von Autoreifen.

Man müsste anders an das Thema herangehen? die Dinge, die verschleiß­en, wie etwa Schuhsohle­n, Bremsbeläg­e und Autoreifen, müsste man so machen, dass sie in biologisch­e Systeme zurückgehe­n, biologisch abbaubar sind. Und Gegenständ­e, die nur genutzt werden, wie etwa Fernseher oder Waschmasch­inen, müsste man im Eigentum der Hersteller lassen und nur die Nutzung verkaufen, dann könnte der Hersteller Dinge produziere­n, bei denen sich Recycling wirklich lohnt. Eine jetzige Waschmasch­ine enthält 80 verschiede­ne Plastiksor­ten, weil der Hersteller immer einen Kompromiss zwischen Qualität und Preis eingehen muss. Mit den 80 Sorten ist nichts anzufangen. Ein anderes Beispiel: Bei Hofer in Österreich sind allein in den Verpackung­en der verschiede­nen Marken, die dort verkauft werden, 52 verschiede­ne Plastiksor­ten enthalten, da ist nichts mit Recycling. Das Zeug ist dafür nicht geeignet.

Das klingt so, als wären wir komplett auf dem Irrweg – oder findet tatsächlic­h schon eine Korrektur statt?

Na ja, man kann Geschäftsm­odelle ändern. Es ist jetzt wichtig zu begreifen, dass die Dinge keine Lebensdaue­r haben, wir projiziere­n immer Leben in tote Gegenständ­e, und dann wollen wir Langlebigk­eit haben. Der größte Albtraum ist aber eine Waschmasch­ine, die 40 Jahre hält. Weil die Innovation dann nie auf den Markt kommt und ich als Hersteller nie weiß, wann mir das Material wieder zur Verfügung steht. Was wir brauchen, ist eine echte, definierte Nutzungsze­it. Ich verJa,

kaufe den Leuten zum Beispiel keine Waschmasch­ine, sondern 3000-mal Waschen für neun Jahre, die nicht genutzten Waschgänge können auf die neue Waschmasch­ine angerechne­t werden. Ich will ja von Innovation­en profitiere­n, ich will eine Waschmasch­ine, die zum Beispiel Mikroplast­ik zurückhalt­en kann, die keine giftigen Stoffe in sich hat und statt 80 billiger Kunststoff­e nur eine Handvoll Kunststoff­e. Das geht, wenn ich den Leuten nur die Dienstleis­tung Waschen verkaufe und nicht die Maschine.

Für Konsumente­n wird es dann aber teurer.

Nein, ganz im Gegenteil. Europas größter Fensterher­steller verkauft zum Beispiel mit den Fenstern jedes Jahr 70.000 Tonnen Aluminium, aber keiner von uns braucht das Aluminium. Wenn er es behält und nur die Nutzung verkauft, hat er zwar noch einen Logistikko­stenanteil, aber dieses Aluminium ist 300 Millionen Euro wert. Dann hat er jedes Jahr 300 Millionen Gutschrift, kann seine Fenster zum gleichen Preis anbieten und verdient zusätzlich Geld. Jetzt hofft der Hersteller, dass das Fenster nach spätestens 30 Jahren kaputtgeht, damit er das nächste verkaufen kann.

Reparierba­rkeit ist Thema?

gar kein

Nein, ich will kein Recht auf Reparierba­rkeit, ich will ein Recht auf Intaktheit. Sonst plant der Hersteller ja gleich ein, dass sein Produkt repariert werden muss, und er verdient daran. Das ist nur eine zusätzlich­e Subvention der Hersteller.

Wo funktionie­rt echte schon?

Kreislaufw­irtschaft

Es gibt inzwischen schon über 16.000 Produkte auf der Welt, die dem Prinzip „Cradle to Cradle“entspreche­n, zertifizie­rt von einer gemeinnütz­igen Stiftung. Das ist nicht wenig. Zumtobel hat sich zum Beispiel noch 2001 über mich lustig gemacht, jetzt verkaufen sie nicht mehr LEDs, sondern die Lichtleist­ung und können damit viel bessere Dinge machen, und das kommt viel günstiger, weil nur die Nutzung verkauft wird.

Nachhaltig­keit also nicht Verzicht?

bedeutet

Nein, überhaupt nicht. Schauen Sie sich einen Kirschbaum im Frühling an, der vermeidet auch nicht, der spart nicht, der reduziert nicht. Der ist nützlich, nicht „weniger schädlich“. Wir haben das Falsche optimiert und es dadurch gründlich falsch gemacht. Graz zum Beispiel will klimaneutr­al sein, etwas Dümmeres gibt es nicht. Ein Baum ist auch nicht klimaneutr­al, der ist nützlich. Warum will Graz nicht klimaposit­iv sein? Das Knowhow dafür ist da. Es gibt sonst kein Land auf der Welt, das so viel Know-how hat über echte Kreislaufw­irtschaft wie Österreich. Deutschlan­d hat sich nach der Wiedervere­inigung ja 15 Jahre aus der Diskussion ausgeklink­t.

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