„Mit sozialen Trittbrettfahrern geht es nicht“
Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer warnt vor „Greenflation“und FreizeitIllusionen: Wenn weniger gearbeitet wird, sei das Sozialsystem nicht haltbar. Bei FPÖ und SPÖ vermisst er brauchbare Ideen.
Sie sind seit fünf Jahren Präsident der Wirtschaftskammer. Waren das jene fünf Jahre, in denen unser Land die Marktwirtschaft abschaffte und zum staatssozialistischen Förderparadies wurde? HARALD MAHRER: Wir haben wegen der Coronakrise eine beträchtliche Förderunterstützung gebraucht. Aber es wurde ja andererseits auch unsere Freiheit stark eingeschränkt. Im Kampf gegen die hohen Energiepreise war es sicher nicht meine erste Wahl, dass wir uns gleich das nächste Subventionsparadies bauen müssen.
Stichwort Subventionsparadies: Das Momentum-Institut hat bei den Coronahilfen hohe ÜberHarald
förderung festgestellt. Allein für 2020 und 2021 wurden demnach 600 Millionen Euro zu viel bezahlt.
Diesem Befund würde ich nicht zustimmen. Richtig ist, dass es bei schnellen Lösungen immer eine gewisse Unschärfe gibt. Dieser Abrieb ist kaum vermeidbar. Es gibt keine 100-prozentige Treffsicherheit.
Wie beurteilen Sie die Maßnahmen gegen die Teuerung?
Die Regierung tut, was sie kann. In gewisser Weise ist sie das Opfer ihres frühen Einschreitens im vorigen Winter geworden. Es gab durch die Unterstützungszahlungen eine Nachfragesteigerung und im letzten Jahr ein hohes Wirtschaftswachstum. Auch die negativen Realzinsen und die Steuerreform treiben die Nachfrage. Das ist ein giftiger Cocktail.
Gierflation? Das ist Schwachsinn, eine reine Ablenkungsdebatte. Wenn schon, dann gibt es eine „Greenflation“, denn für den ökologischen Umbau fehlen Arbeitskräfte und Gerätschaften.
Ein bisserl Preistransparenz wird Einkäufe im Supermarkt nicht verbilligen. Warum lehnen Sie die Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel ab?
Man muss die Inflation an ihrer Wurzel bekämpfen, also bei den
hohen Energiepreisen. Da werden Preissenkungen zu langsam weitergegeben. Aber bitte packen wir nicht die große Konfetti-Kanone der Mehrwertsteuersenkung aus.
In Spanien wurde die Inflation mit Preisdeckeln bekämpft.
Dort gibt es dafür mehr Armut. Das würde keinem nützen. Volkswirtschaftlich ist es ja ein gutes Zeichen, hohe Preise durchsetzen zu können. Nur muss man das gezielt abfedern.
Nicht immer stammen Preisauftriebe aus erhöhten Kosten. Manche Beobachter sprechen von Zufallsgewinnen und Gierflation.
Das ist Schwachsinn, eine reine Ablenkungsdebatte. Wenn schon, dann gibt es eine „Greenflation“, denn auch die Energiewende erhöht die Preise. Für den ökologischen Umbau fehlen Arbeitskräfte und Gerätschaften.
Der Arbeitskräftemangel wird eklatant. Muss sich die Wirtschaftskammer Versäumnisse in der Ausbildung vorwerfen?
Die Kammer tut alles, um die Ausbildung attraktiver zu machen. Wir warnen seit Jahren, aber das wollte niemand wahrhaben. Von den momentan 200.000 offenen Stellen können wir vielleicht 10 bis 15 Prozent durch veränderte Zumutbarkeitsbestimmungen und spezielle Schulungsprogramme besetzen. Mittelfristig kommen durch die Demografie nochmals 360.000 unbesetzte Stellen hinzu. Und was machen wir? Wir reden über Arbeitszeitverkürzung! Das ist eine unredliche und nicht vernunftgeleitete Debatte, die größte Populismuskeule. Die Zeit der angenehmen Unwahrheiten ist vorbei. Irgendwer muss den Leuten sagen, dass alle etwas beitragen müssen, wenn wir den Sozialstaat bewahren wollen.
Wer soll das machen?
Alle, die dazu berufen sind, Verantwortung zu tragen. Aber das passiert leider nicht. Ganz rechts trommelt die FPÖ die „Festung Österreich“, das ist überhaupt der Wahnsinn. Ganz links überbieten die SPÖ-Vorsitz-Kandidaten einander mit Ideen aus der UmverteilungsMottenkiste. Und dann sind in Graz und Salzburg plötzlich wieder die Kommunisten schick. Wir brauchen dringend einen Ordnungsruf: Mit sozialem Trittbrettfahrertum wird es nicht gehen. Wer glaubt, er kann sich aus dem Getriebe herausnehmen und weniger arbeiten, aber dann trotzdem 365 Tage im Gasthaus bedient werden oder im Krankenhaus Leistungen erhalten, der bricht unseren Gesellschaftsvertrag.
Viele Jobs wären attraktiver, wenn sie besser bezahlt wären.
Es gibt viele Bereiche, die ich unterbezahlt sehe, etwa in der Kinderbetreuung oder bestimmten Bildungsberufen. Aber wenn ich das ändern will, muss das zuerst erarbeitet werden. Wenn wir das Sozialsystem halten wollen, geht es nicht, dass sich manche abmelden.
Die Erwartungen der jungen Menschen haben sich geändert.
Dann muss man darüber reden, ob wir USA-Verhältnisse wollen mit einem Wettbewerb der Krankenversicherungen und Menschen, die sich Gesundheitsversorgung nicht leisten können. Ich will das nicht, ich bin stolz auf die Errungenschaften unseres Systems, und dafür zahle ich gerne Steuern. Es geht um ein Mindset, um die innere Einstellung. Leider gaukeln gewisse Influencer heute vor, dass man mit fünf Videos im Monat Millionär werden kann.
Sollen ÖVP und Grüne weiterregieren, falls sich das nach der Wahl 2024 überraschend ausgeht?
Sie sollen bis Herbst 2024 brav weiterarbeiten. Alles andere wird man nach der Wahl sehen.
Sind Sie als Bürgerlicher enttäuscht von den höchst dubiosen und unwürdigen Vorfällen, die Sebastian Kurz in seinem Umfeld mindestens geduldet hat?
Ich habe das alles immer mit einer gewissen Verwunderung beobachtet. In der Politik sind Grundwerte wichtig, dazu gehören auch Ehrlichkeit und Transparenz. Ich will keine Einzelpersonen beurteilen, aber wenn man diese Grundwerte nicht hat, dann wird es halt schwierig. Aber gerade bei Sebastian Kurz weiß ich, dass es ihm immer ums Land gegangen ist. Beschuldigt wird man heute schnell, man wird sehen, was am Ende herauskommt.
Die FPÖ trommelt die „Festung Österreich“, das ist überhaupt der Wahnsinn. Und die SPÖ-Kandidaten überbieten einander mit Ideen aus der Umverteilungs-Mottenkiste.