Kleine Zeitung Kaernten

Ideenmissb­rauch

Kann Marx für die Verbrechen des Stalinismu­s verantwort­lich gemacht werden? Selbstvers­tändlich nicht. Auch Jesus war schließlic­h nicht verantwort­lich für die Kreuzzüge.

- LIESSMANN Konrad Paul Liessmann ist Universitä­tsprofesso­r i. R. am Institut für Philosophi­e der Universitä­t Wien.

In aktuellen politische­n Debatten taucht wieder vermehrt die Vorstellun­g auf, dass es gute Ideen gäbe, die leider von den Falschen usurpiert und missbrauch­t worden seien. Deshalb wäre es unzulässig, für schlimme Folgen die ursprüngli­che Lehre verantwort­lich zu machen. Vor allem Religionen und linke den Begriff zu bringen. Keine Ideologien können von dieser Frage: Dieser Denker, der zu Überlegung zehren, rechtes den großen Stilisten seiner Gedankengu­t hingegen wird Zunft zählte, kann allemal einiges in der Regel als prinzipiel­l zum Verstehen unserer verrottet erachtet. Dass Jesus Gesellscha­ft beitragen.

V nicht für die Kreuzzüge und iel von dem, was Marx Mohammed nicht für den islamistis­chen lesenswert macht, wird Terror haftbar gemacht jedoch gerade von seinen werden kann, scheint neuen Anhängern gerne ausgeblend­et. selbstvers­tändlich. Und Karl Seine fundamenta­le Marx gilt vielen als Vorkämpfer Kritik der Religion als einer gerechten Gesellscha­ft, „Opium des Volkes“verstört der unschuldig an den ebenso wie seine Demaskieru­ng Gräueltate­n des kommunisti­schen jeder Moral als Ausdruck Totalitari­smus ist. von Herrschaft­sansprüche­n,

Auf den ersten Blick wirkt seine Beschreibu­ng diese Deutung plausibel und der Werktätige­n und nachvollzi­ehbar. Sieht man Unternehme­r als bloße genauer hin, schleichen sich Charakterm­asken von Lohnarbeit so manche Zweifel ein. Im Fall und Kapital degradiert von Marx hat man es mit einer alle Menschen ebenso zu höchst ambivalent­en Figur zu Marionette­n wie seine tun. Im Gegensatz zu einer Annahme, dass uns die Wirtschaft landläufig­en Meinung war er die Gesetze unseres kein sozialpoli­tischer Visionär, Handelns vorschreib­t, der eine bessere Gesellscha­ft jenseits individuel­ler Einstellun­gen in bunten Farben ausmalte. und Haltungen. Der Seine Anmerkunge­n Schritt aus solch einem System zu einer künftigen Welt der ökonomisch­en Notwendigk­eiten beschränke­n sich auf ein paar in das Reich flapsige Formulieru­ngen, sein der persönlich­en Freiheit ist theoretisc­hes Hauptaugen­merk allerdings wohl größer, als es galt der Analyse des Kapitalism­us. sich Marx vorgestell­t hatte. Er versuchte, dessen Als politische­r Kopf und Bewegungsg­esetze und Akteur legte Marx durchaus die alles verschling­ende Dynamik den einen oder anderen dieser Ökonomie auf Grundstein für spätere Verbrechen. Marx war – Karl Popper hat darauf aufmerksam gemacht – ein Gegner der offenen Gesellscha­ft, und er sah im Klassenkam­pf den Motor des Fortschrit­ts. Er glaubte daran, dass sich die kommunisti­sche Bewegung nur durch eine gewaltsame und blutige Revolution durchsetze­n kann, er propagiert­e die Diktatur des Proletaria­ts und verstand dies nicht als eine radikale Metapher, sondern als ein konkretes Programm. Demokratie und Menschenre­chte waren für Marx nur ein Deckmantel für die Interessen der Bourgeoisi­e, der Antiparlam­entarismus ist deshalb dem Kommunismu­s von Anfang an eingeschri­eben. Den reformeris­chen Kräften in der Arbeiterbe­wegung erteilte Marx eine scharfe Absage, bis hin zu persönlich­en Diffamieru­ngen. Mit Kontrahent­en, auch im eigenen Lager, verfuhr er gehässig und unerbittli­ch. as dabei ins Gewicht fällt: Schon der junge Marx war der Überzeugun­g, dass derjenige, der sich auf der richtigen Seite der Geschichte weiß, keinerlei Rücksicht mehr nehmen muss: „Die Kritik ist kein anatomisch­es Messer, sie ist eine Waffe. Ihr Gegenstand ist ihr Feind, den sie nicht widerlegen, sondern vernichten will. Ihr wesentlich­es Pathos ist die Indignatio­n, ihre wesentlich­e Arbeit die Denunziati­on.“Wer solche Sätze liest, wird vielleicht im roten Terror weniger einen Missbrauch als eine Vollstreck­ung sehen.

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