Ideenmissbrauch
Kann Marx für die Verbrechen des Stalinismus verantwortlich gemacht werden? Selbstverständlich nicht. Auch Jesus war schließlich nicht verantwortlich für die Kreuzzüge.
In aktuellen politischen Debatten taucht wieder vermehrt die Vorstellung auf, dass es gute Ideen gäbe, die leider von den Falschen usurpiert und missbraucht worden seien. Deshalb wäre es unzulässig, für schlimme Folgen die ursprüngliche Lehre verantwortlich zu machen. Vor allem Religionen und linke den Begriff zu bringen. Keine Ideologien können von dieser Frage: Dieser Denker, der zu Überlegung zehren, rechtes den großen Stilisten seiner Gedankengut hingegen wird Zunft zählte, kann allemal einiges in der Regel als prinzipiell zum Verstehen unserer verrottet erachtet. Dass Jesus Gesellschaft beitragen.
V nicht für die Kreuzzüge und iel von dem, was Marx Mohammed nicht für den islamistischen lesenswert macht, wird Terror haftbar gemacht jedoch gerade von seinen werden kann, scheint neuen Anhängern gerne ausgeblendet. selbstverständlich. Und Karl Seine fundamentale Marx gilt vielen als Vorkämpfer Kritik der Religion als einer gerechten Gesellschaft, „Opium des Volkes“verstört der unschuldig an den ebenso wie seine Demaskierung Gräueltaten des kommunistischen jeder Moral als Ausdruck Totalitarismus ist. von Herrschaftsansprüchen,
Auf den ersten Blick wirkt seine Beschreibung diese Deutung plausibel und der Werktätigen und nachvollziehbar. Sieht man Unternehmer als bloße genauer hin, schleichen sich Charaktermasken von Lohnarbeit so manche Zweifel ein. Im Fall und Kapital degradiert von Marx hat man es mit einer alle Menschen ebenso zu höchst ambivalenten Figur zu Marionetten wie seine tun. Im Gegensatz zu einer Annahme, dass uns die Wirtschaft landläufigen Meinung war er die Gesetze unseres kein sozialpolitischer Visionär, Handelns vorschreibt, der eine bessere Gesellschaft jenseits individueller Einstellungen in bunten Farben ausmalte. und Haltungen. Der Seine Anmerkungen Schritt aus solch einem System zu einer künftigen Welt der ökonomischen Notwendigkeiten beschränken sich auf ein paar in das Reich flapsige Formulierungen, sein der persönlichen Freiheit ist theoretisches Hauptaugenmerk allerdings wohl größer, als es galt der Analyse des Kapitalismus. sich Marx vorgestellt hatte. Er versuchte, dessen Als politischer Kopf und Bewegungsgesetze und Akteur legte Marx durchaus die alles verschlingende Dynamik den einen oder anderen dieser Ökonomie auf Grundstein für spätere Verbrechen. Marx war – Karl Popper hat darauf aufmerksam gemacht – ein Gegner der offenen Gesellschaft, und er sah im Klassenkampf den Motor des Fortschritts. Er glaubte daran, dass sich die kommunistische Bewegung nur durch eine gewaltsame und blutige Revolution durchsetzen kann, er propagierte die Diktatur des Proletariats und verstand dies nicht als eine radikale Metapher, sondern als ein konkretes Programm. Demokratie und Menschenrechte waren für Marx nur ein Deckmantel für die Interessen der Bourgeoisie, der Antiparlamentarismus ist deshalb dem Kommunismus von Anfang an eingeschrieben. Den reformerischen Kräften in der Arbeiterbewegung erteilte Marx eine scharfe Absage, bis hin zu persönlichen Diffamierungen. Mit Kontrahenten, auch im eigenen Lager, verfuhr er gehässig und unerbittlich. as dabei ins Gewicht fällt: Schon der junge Marx war der Überzeugung, dass derjenige, der sich auf der richtigen Seite der Geschichte weiß, keinerlei Rücksicht mehr nehmen muss: „Die Kritik ist kein anatomisches Messer, sie ist eine Waffe. Ihr Gegenstand ist ihr Feind, den sie nicht widerlegen, sondern vernichten will. Ihr wesentliches Pathos ist die Indignation, ihre wesentliche Arbeit die Denunziation.“Wer solche Sätze liest, wird vielleicht im roten Terror weniger einen Missbrauch als eine Vollstreckung sehen.
W