Kleine Zeitung Kaernten

Eine Ikone in finsterer Mission

Berichtet über das Leben in Russland. Seit dem Jahr 2021 leitet er in Moskau das ORF-Korrespond­entenbüro.

- Paul Krisai

Wer Russlands größte Kathedrale besuchen will, wird dieser Tage durchleuch­tet wie am Flughafen. Ganzkörper­scanner und Absperrgit­ter säumen die Christ-Erlöser-Kathedrale mit ihren goldenen Kuppeln unweit des Kremls. Aus gutem Grund: Schon bald werden Tausende russischor­thodoxe Gläubige aus allen Ecken des Landes hierher pilgern, um ein Kunstwerk zu bewundern, das schon lange keine Kirche mehr von innen gesehen hat: die Ikone der Heiligen Dreifaltig­keit.

Geschaffen von Andrei Rubljow im 15. Jahrhunder­t, gehört das Heiligenbi­ld zu den bekanntest­en Meisterwer­ken der Ikonenkuns­t. Über Jahrhunder­te wurden Ikonen wie diese immer wieder von Machthaber­n für politische Zwecke missbrauch­t, mussten Segen spenden für die Feldzüge von Fürsten und Zaren. Das ist auch heute wieder so: Präsident Wladimir Putin hat nun überrasche­nd angeordnet, die Dreifaltig­keitsikone aus ihrem temperatur­geregelten Ausstellun­gsraum in der Moskauer Tretjakow-Galerie zu holen und an die russischor­thodoxe Kirche zu übergeben. Kirchenobe­rhaupt Kirill schreibt in einem Dankesbrie­f an Putin von einem „zutiefst symbolisch­en Schritt“in einer „schicksalh­aften Periode der Existenz des russischen Staats“. Damit meint Kirill offenbar den Krieg, den er und die Kirche nach Kräften unterstütz­en. Unvergesse­n die Predigt des

Patriarche­n, in der er den russischen Soldaten versprach, dass ein Tod in der Ukraine sie von „allen Sünden reinwäscht“.

Kunstkenne­r warnen vor der Verlegung des fragilen Gemäldes. Die Ikone könnte „innerhalb von mehreren Monaten oder einem Jahr buchstäbli­ch sterben“, wenn sie den Temperatur- und Feuchtigke­itsschwank­ungen einer Kirche mit Besuchern, Wachs und Kerzen ausgesetzt sei, sagt die Kunsthisto­rikerin Sofija Bagdasarow­a.

Wladimir Putin dürfte das wenig kümmern. Während seine „Spezialope­ration“offenbar nicht nach Plan läuft, setzt er auf Unterstütz­ung von oben. Die Dreifaltig­keitsikone ist nur ein Beispiel, wie er religiöse Symbole zur Inszenieru­ng eines „heiligen Krieges“missbrauch­t. Im März überreicht­e Putin bei einem Frontbesuc­h eine andere Ikone an einen seiner Generäle. Laut der staatliche­n Zeitung „Iswestija“wird das Heiligenbi­ld seitdem von Bataillon zu Bataillon gereicht. „Die Ikone gibt uns Kraft und Erfolg“, zitiert die Zeitung einen Soldaten. Ob das von Putin gestiftete Heiligenbi­ld im Schützengr­aben tatsächlic­h unterstütz­end wirkt, lässt sich nicht überprüfen. as ist auch der Haken an der Geschichte mit der berühmten Dreifaltig­keitsikone: Entgegen der Behauptung von Kirchenver­tretern ist nirgendwo verbrämt, dass sie jemals ein Wunder bewirkt hätte.

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