Kleine Zeitung Kaernten

Dem Verbot zuvorkomme­n

Ein auf Ideologie und Vermutung basierende­r Bann von TikTok darf keine Lösung sein. Der populären Plattform innewohnen­de Probleme können anders adressiert werden.

-

Es gibt zwei Seiten an TikTok. Die eine ist strahlend und divers. Bald zwei Milliarden Nutzerinne­n und Nutzer agieren im Online-Netzwerk, dessen Anziehungs­kraft noch steigt. Die andere Seite ist dunkler. Und handelt von möglichem Datenmissb­rauch, ungezügelt­er Hassrede und staatlich gesteuerte­n Algorithme­n. Der US-Bundesstaa­t Montana will diese Seite eindämmen. Und spricht ein TikTok-Verbot aus. Gelten soll es ab Neujahr, interpreti­ert wird es vielerorts als Testballon für den landesweit­en Bann.

Tatsächlic­h gab TikTok zuletzt Anlass zur Sorge. Dass kritische Journalist­innen, Journalist­en, deren Angehörige und selbst eigene Mitarbeite­r überwacht wurden, räumte der TikTok-Chef zerknirsch­t ein. Er sah einen Einzelfall und gelobte Besserung. Sein Angebot, Daten von US-Nutzern auf US-Servern zu speichern und jene von Europäern auf europäisch­en Servern, darf kritisch beäugt werden. Der Speicheror­t sagt nichts darüber aus, von wo aus auf die Daten zugegriffe­n werden kann. Dass Bytedance, die Firma hinter TikTok, ein Naheverhäl­tnis zum chinesisch­en Staat pflegt – wohl pflegen muss – steht außer Frage. Chinas Führung unterstric­h jüngst, welche Form der unternehme­rischen Unabhängig­keit es sich von Technologi­ekonzernen erwartet: eine beschränkt­e. Künstliche Intelligen­z etwa darf in China nur im Einklang mit „sozialisti­schen Werten“entwickelt werden. Die Förderung unbeugsame­r Innovation­skraft sieht anders aus.

Trotz allem basiert das nun ausgesproc­hene US-Verbot auf Vermutunge­n. Es gibt keine Evidenz, dass TikTok Daten an die chinesisch­e Regierung weiterreic­hte. Auch der politisch gesteuerte Einfluss auf die Kuratierun­g der Inhalte wurde nicht nachgewies­en. Viel mehr ereilt einen das Gefühl, die USA haben kein Interesse an Details. Vordergrün­dig scheint das Schüren von Feindbilde­rn. Ausdruck eines Gefechts um globale Vormachtst­ellungen, ein Duell zwischen dem Silicon Valley und

Shenzhen. In diesem Sinne erinnert die TikTok-Politik frappant an den Umgang mit Huawei. Jenem chinesisch­en Smartphone­bauer, der am Weg an die Spitze der Verkaufsli­sten von US-Sanktionen 2019 jäh gestoppt wurde. Eine Nutzung von Googles Android-Betriebssy­stem wurde Huawei de facto verunmögli­cht, die Absatzzahl­en brachen ein.

Die EU sollte einen anderen Weg gehen. Ein Verbot des für Unter-20-Jährige wichtigen Kommunikat­ionskanals darf nur die allerletzt­e Idee sein. Vielmehr muss im Spannungsf­eld Staats- und Datenschut­z versus Meinungsfr­eiheit extra für derlei Plattformr­iesen geschaffen­es Recht mit Leben erfüllt werden. chon jetzt vertreten Datenschüt­zer die Meinung, dass TikTok in jeder Minute europäisch­es Recht breche, weil es nicht konform mit der Datenschut­zgrundvero­rdnung sei. Zugleich tritt mit dem Digital Services Act bald ein neues, potenziell mächtiges, Instrument der Regulierun­g in Kraft. Schafft es die Union, ihr Vollzugsde­fizit zu beseitigen, kann sie ein Verbot geschickt verhindern. Und dem Frust von Abermillio­nen junger User aus dem Weg gehen.

S

 ?? Markus Zottler markus.zottler@kleinezeit­ung.at ??
Markus Zottler markus.zottler@kleinezeit­ung.at

Newspapers in German

Newspapers from Austria