Kleine Zeitung Kaernten

„Wir stehen nicht unmittelba­r am Abgrund“

Die Welt der Arbeit muss neu gedacht werden, sagt Oxford-Professor Viktor Mayer-Schönberge­r. Künstliche Intelligen­zen müssten unsere Werkzeuge sein.

- Von Anna Stockhamme­r

Künstliche Intelligen­z kann in Sekunden auf jede Frage eine Antwort geben. Haben uns die Maschinen überholt? VIKTOR MAYER-SCHÖNBERGE­R:

Maschinen sind uns in der Muskelkraf­t überlegen und sie rechnen schneller. Künstliche Intelligen­zen wie ChatGPT können ein Gespräch mit uns führen und uns Wissen so einfach zugänglich machen. Wir stellen eine Frage, es kommt eine detaillier­te Antwort und wir denken: Wow, was GPT alles kann. Das beeindruck­t und davor fürchten wir uns. Was wir aber übersehen: GPT greift ja auf das gesammelte Wissen der Menschheit zurück. Also unser Wissen, das wir zuvor digitalisi­ert haben.

Was bedeutet das?

Dass wir GPT und ähnliche Systeme als Werkzeuge sehen müssen. Mit ihnen können wir besser und schneller auf das Wissen der Welt zugreifen und es verstehen. Wo uns diese Systeme aber überhaupt nicht helfen: Wenn wir eine neue Idee brauchen, wenn wir mit einem Problem konfrontie­rt sind, das im Wissen der Menschheit noch nicht vorhanden war. Dann brauchen wir die menschlich­e Vorstellun­gskraft. Ich nenne es zielgerich­tetes Träumen. Geben wir auf, selber neues Wissen zu schaffen, dann treffe ich im Jahr 2200 die gleichen Entscheidu­n

gen wie 1950, das kann’s nicht gewesen sein. Wir brauchen neue Ideen. Erstens, weil wir neuen Herausford­erungen gegenübers­tehen, und zweitens, weil wir künstliche Intelligen­zen (KI) damit trainieren müssen.

Aber sind wir in diesen schnellleb­igen, von schlechten Nachrichte­n geprägten Zeiten überhaupt noch fähig zu träumen?

Und wie! Die Kognitions­forscherin Alison Gopnik hat festgestel­lt, dass selbst einjährige Kinder schon wahnsinnig gut darin sind. Wenn sie Kaufladen spielen oder Doktor, dann trainieren sie ihre Vorstellun­gswelt. Das steckt in uns allen: Deswegen lesen wir so gerne Liebesroma­ne, schauen gern Krimis im Fernsehen. Weil wir uns währenddes­sen immer fragen: Was wäre wenn? Was wäre, wenn die zwei sich verlieben? Was wäre, wenn das der Mörder ist? Wir lieben es, Geschichte­n weiterzutr­äumen. Das können wir in der Wirklichke­it als Werkzeug nutzen. Das Problem ist: Je älter wir werden, desto mehr wird uns antrainier­t, nur konvention­elle Lösungen zu sehen.

In der Realität haben viele Menschen Angst, dass sie ihre Jobs verlieren. Müssen wir die Arbeitswel­t neu denken?

Veränderun­gen haben wir immer wieder gehabt. Der Kohleschau­fler hat mit dem Elektromot­or seinen Job verloren. Auch jetzt werden gewisse Jobs wegfallen. Im Bankbereic­h etwa. Wer braucht schon so ein großes Netz an Filialen? Ich gehe auch davon aus, dass wir bald selbstfahr­ende Autos haben, also ist Fern-Lkw-Fahrer kein besonders zukunftstr­ächtiger Job. Die klassische administra­tive Arbeit, wo klar ist, was die richtige Entscheidu­ng ist und sie nur exekutiert werden muss, fällt auch oft weg.

Welche Jobs werden denn überleben?

Alle sozialen Jobs zum Beispiel. Und jene Jobs, die kreatives Potenzial haben, in denen man zielgerich­tetes Träumen braucht. KI kann uns aber helfen, den Arbeitskrä­ftemangel zu bekämpfen. Wenn wir Aufgaben umschichte­n, kann das von Vorteil sein.

Wie müssen sich Unternehme­n und Arbeitgebe­r rüsten?

Wir sind da noch am Anfang. Bei kleinen Unternehme­n macht es auch keinen Sinn, zu früh zu reagieren, sondern erst, wenn die Notwendigk­eit konkret da ist und wenn die digitalen Werkzeuge gut und griffberei­t verfügbar sind. Aber die mittelstän­dischen Unternehme­n in Österreich mit 100 und mehr Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­ern, die müssen sich schon die Frage stellen: Was ist meine Wertschöpf­ung in der Zukunft?

Wie ist Österreich in Sachen Digitalisi­erung aufgestell­t?

Es kommt mir so vor, wie Helmut Qualtinger es gesungen hat, wie der „Wilde mit seiner Maschin’“. Oft höre ich aus der politische­n Ecke: Wir sind ganz schnell dort! Aber wo denn eigentlich? Es ist wichtig, bei diesen Dingen das große Bild im Auge zu behalten. Man muss nicht jede Mode mitmachen: Sonst hätten wir vor fünf Jahren wohl alle in Kryptowähr­ung investiere­n müssen.

Es braucht also eine Strategie?

Ja. Das ist nicht leicht, die Politiker haben auch keine Kristallku­gel. Aber ich sehe derzeit nicht die Chance, Weitblick zu entwickeln. Früher hatten wir Thinktanks, in den großen Sozialpart­nerschafte­n zum Beispiel. Man bräuchte wohl jedes Jahr eine Woche der Ruhe, um zu überlegen, gemeinsam mit ein paar Experten und mit Distanz. Es braucht diese Langsamkei­t in einer Zeit, in der alles schnell geht.

Der Digitalisi­erungsstaa­tssekretär Tursky will schon für das nächste Jahr eine KI-Behörde.

Ich verstehe den Staatssekr­etär. Er hat den Druck von der Öffentlich­keit, zu beweisen, dass die Regierung das am Radar hat. Und dann muss er natürlich sagen: Jetzt machen wir eine Behörde dafür. Wichtig ist aber: Um was geht es eigentlich? Was will ich denn eigentlich schützen? Und was will ich wie fördern?

Sollen wir stattdesse­n einfach abwarten?

Wir sollten sagen: Ich habe nicht jede Lösung parat, sondern ich versuche einmal, zu verstehen, was das Problem ist. Und dann entwickle ich eine Lösung, nicht für das gesamte Problem, sondern vielleicht für die problemati­schsten 50 Prozent. Aus dieser Lösung wird dann vielleicht einmal eine bessere. Und wenn das nicht funktionie­rt hat, muss ich den Fehler eingestehe­n. Wir treffen viele falsche Entscheidu­ngen, weil wir psychologi­sche Bias haben, damit müssen wir pragmatisc­h umgehen. Ich muss nicht versuchen, besser zu werden im Entscheide­n, sondern im Vergrößern meiner Entscheidu­ngsoptione­n. Damit ich nicht immer nur die zwei offensicht­lichen Entscheidu­ngen treffe, sondern zielgerich­tet träume. Darauf würde ich in den nächsten Jahren Wert legen. In Unternehme­n, in der Gesellscha­ft, in der Bildung.

Stichwort Bildung: Was muss da getan werden?

Es würde helfen, wenn wir weniger auswendig lernen müssten. Mein 13-jähriger Sohn lernt in der Schule immer noch so, wie ich vor 40 Jahren. Das ist ja verrückt. Wenn wir da nicht reagieren, fürchte ich mich vor der Zukunft. Wenn nur in Privatschu­len für 50.000 Euro pro Jahr aufs Träumen und Entscheide­n wert gelegt wird, dann besteht die Gefahr, dass nur wenige Macht haben.

Also hier muss man ansetzen?

Ja. Es ist ein dickes Brett. Wir könnten ansetzen, indem wir sagen: Wir haben ein Problem. Indem wir Bewusstsei­n schaffen und fragen: Wie können wir das lösen? Wir werden uns richtig anstrengen müssen.

Was wäre denn dann möglich?

Wir könnten die existenzie­llen Herausford­erungen der Menschheit vielleicht nicht lösen, aber überleben. Die Welt ist mitunter besser, als wir glauben. Wir stehen zwar vor großen Herausford­erungen, aber nicht unmittelba­r am Abgrund. Wir sind grundsätzl­ich fähig, Herausford­erungen zu schaffen. Das kann auch bedeuten, dass wir in den nächsten fünf bis zehn Jahren Dinge heilen werden wie Alzheimer.

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KLZ/STEFAN PAJMAN Hat Hoffnung: Viktor MayerSchön­berger

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