Kleine Zeitung Kaernten

Apokalypse? Später, bitte!

BUCH DER WOCHE. Mit „Blues Skies“hat der US-Schriftste­ller T. C. Boyle einen genial-gefinkelte­n, bissigen Roman über unsere Hilflosigk­eit und Erstarrung im Umgang mit der Klimakrise geschriebe­n.

- Von Bernd Melichar

Dass T. C. Boyle als Popstar unter den zeitgenöss­ischen US-Literaten etikettier­t wird, ist mehr als Marketing. Denn ähnlich wie gute Popmusiker mit ihren Songs, schafft es Boyle mit seinen Romanen, schwer verdaulich­e, existenzie­lle Themen so zu verpacken, dass sie auf hohem literarisc­hen Niveau leicht konsumierb­ar sind, sogar unterhalts­am, die Dringlichk­eit und Dramatik aber dennoch nicht verloren geht. Themen wie Kolonialis­mus („Wassermusi­k“), Einwanderu­ngspolitik („América“), Frauenbewe­gung („Riven Rock“), Identitäts­diebstahl („Talk Talk“).

In „Blue Skies“, seinem neuen Roman, wendet sich Boyle ei

Thema zu, von dem derzeit die ganze Welt spricht: Klimakrise, Klimakatas­trophe, drohender Weltunterg­ang: In der Schärfe der Definition spiegelt sich die Positionie­rung wider. m Zentrum des Romans steht eine gutbürgerl­iche US-Familie in Kalifornie­n und Florida. Der Vater ist Arzt, die Mutter stellt das Kochen gerade auf frittierte Insekten um, der Sohn wiederum ist Insektenfo­rscher, seine Freundin auf Zecken spezialisi­ert. Und die Tochter in Florida kauft sich eine Pythonschl­ange, damit kann sie als Influencer­in sicher coole Fotos posten. Alltag also, allerorten das große Brabbeln und Krabbeln, aber im Laufe dieses Ro

Imans werden die Tierchen zurückbeiß­en und die Natur zurückschl­agen. Die Wälder brennen, das Land trocknet wahlweise aus oder wird überschwem­mt, auf den Straßen liegen Tausende Fische, und sogar der gute kalifornis­che Wein schmeckt nach Asche. Apokalypse now!?

Möglich, aber bevor über Kipppunkte geredet wird, muss noch der Smoothie gemixt und der Pool gereinigt werden. Das Geniale an Boyles neuem Ronem

man ist, dass er in der Fiktion die bitter-absurde Realität abbildet: Wir leben unser Leben, sind um kleine Veränderun­gen bemüht, doch im Großen und Ganzen nicht aus unserer Komfortzon­e rauszukrie­gen. ie Welt wird nicht morgen untergehen, auch nicht übermorgen. Aber worauf wir zusteuern, wird nicht lustig werden. Und weil wir das wissen oder zumindest ahnen, wollen wir lieber nicht daran denken. „Blue Skies“ist

Dkeine Dystopie. Man muss die Katastroph­en nicht erfinden, sie sind längst hier. „Wie wird das Leben in 20, 50, 100 Jahren wirklich sein?“, heißt es an einer Stelle. „Gab es noch Hoffnung? Oder würde dann alles Wüste sein?“Weil die großen Fragen nicht beantwortb­ar sind, hält sich auch die Romanfamil­ie an ihrem kleinen Leben fest. Boyle hat keinen reißerisch­en Öko-Thriller geschriebe­n, vielmehr erzählt er hinreißend bissig von der Erstarrung des Einzelnen angesichts einer unfassbare­n Gemengelag­e an Gefahren und Bedrohunge­n. Gegenstrat­egie: „Man verlor etwas, ersetzte es – und trank darauf einen Mojito.“er Titel „Blues Skies“stammt übrigens aus einem Ella-Fitzgerald-Song. Dort heißt es: „Blauer Himmel lächelt mich an. Ich habe die Sonne noch nie so hell scheinen sehen. Ich habe noch nie gesehen, dass die Dinge so gut liefen.“Na also!

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IMAGO T. C. Boyle, der Popstar unter den US-Schriftste­llern

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