Hutträger der Herzen
In Cannes sorgt 15 Jahre nach dem letzten „Indiana Jones“-Spektakel der wohl letzte Film der Reihe, „Das Rad des Schicksals“, für feuchte Augen – auch bei Hauptdarsteller Harrison Ford selbst.
Während in Cannes lauwarmer Nieselregen niedergeht und sich die internationalen Journalistinnen und Journalisten in diversen Kinosälen des Palais des Festivals versammeln, um in die Filmfestival gewordene Kristallkugel der cineastischen Höhepunkte des nächsten Jahres zu schauen, gibt es Momente, wo das Kino und alle seine Fans mit hemmungsloser Freude und ganz sentimental ihre Kinoliebe feiern. Indiana Jones ist wieder da!
Seit Tagen konnte man hier das von John Williams (auch: „Jurassic Park“, „Harry Potter“, „Star Wars“) komponierte „Tata-ta-taaa“gesungen und gepfiffen hören, bis es am Donnerstagabend dann endlich so weit war. Statt Steven Spielberg führte diesmal James Mangold Regie, der mit „Walk the Line“, „Le Mans 66“und „Logan – The Wolverine“mehr als Handwerker als ein inspirierter Filmemacher aufgefallen ist.
„Das Rad des Schicksals“beginnt mit einer schwungvollen Liebeserklärung an die frühen „Indiana Jones“-Filme, als Harrison Ford – künstlich verjüngt – auf der Leinwand auftaucht, gibt es lauten Szenenapplaus. Dann folgt, wofür das Publikum hier ist: fiese Nazis, die mit viel Spaß an der Freude verdroschen werden, Mads Mikkelsen als Bösewicht (dessen Schauspielkünste hier verschenkt sind). Innerhalb der ersten 20 Minuten ist Indiana „Indy“Jones fast gehängt, fast erschossen und fast von einer Fliegerbombe zerfetzt worden, hat sich durch einen Zug voller historischen Nazisraubguts geschlägert und ist über das Zugdach geklettert. So weit, so gut. Es geht natürlich auch diesmal um ein geheimnisvolles archäologisches Artefakt, das titelgebende „Rad des Schicksals“, entwickelt vom griechischen Mathematiker und Ingenieur Archimedes höchstpersönlich, aber so wichtig ist das alles nicht.
Ein Zeitsprung verortet den alten Archäologieprofessor
Dr. Jones grantig und kurz nach der Pensionierung im Jahr der Mondlandung 1969 an seiner Universität, die Studierenden in der Vorlesung schlafen – bis auf eine junge Frau, Helena Shaw (Phoebe Waller-Bridge, „Fleabag“). Sie ist Indys Taufpatin, die Tochter seines verstorbenen Freundes Basil (Toby Jones). Bald liefern sie sich Verfolgungsjagden im Tuk-Tuk durchs marokkanische Tanger, tauchen nach Schätzen im griechischen Meer (Antonio Banderas im Kurzauftritt) und haben mit grausigen Krabbeltieren auf Sizilien zu kämpfen.
So weit, so Indy-Tradition. Die über zwei Stunden an Action lassen allerdings deutlich Dringlichkeit und Spannung vermissen, vor allem die Rolle der 37-jährigen Britin Phoebe Waller-Bridges hätte mehr Witz und Tiefenschärfe verdient. Ein Moment am Ende versöhnt dann doch mit dem Indy-Wiedersehen – und sei nicht verraten. Regulärer Kinostart in Österreich ist übrigens am 5. Juni.
„Reiten kann ich noch, wenn man mich überhaupt lässt, alles andere habe ich vergessen“, witzelte Harrison Ford nach der Vorführung. Und bezüglich seiner Oben-ohne-Szene im Alter von 80: „Ich bin mit diesem Körper gesegnet, schön, dass es Ihnen auffällt!“Noch im Kinosaal erhielt Ford eine Goldene
Und war sichtlich gerührt.
Und wie ist das heuer beim Festival mit dem Kristallkugelblick in die Zukunft des Kinos bisher? Sagen wir so: Maïwenns Eröffnungsfilm „Jeanne du Barry“mit seinen Johnny-Depp-Feierlichkeiten auf dem Red Carpet – irgendwo zwischen anachronistisch und bizarr – ist eh für keinen Preis nominiert, und das ist auch gut so. Unter den Lieblingen der ersten Tage sind jedenfalls Catherine Corsinis „Le Retour“, ein sommerliches Drama auf Korsika, sowie Hirokazu Kore-edas spannende Wahrheitssuche „Monster“.