Darum müssen Milizübungen Pflicht werden
Nur Auffrischungskurse können garantieren, dass im Kriegsfall neue Waffensysteme effizient im Verbund eingesetzt werden.
EVon unserem Experten ine in der Zweiten Republik noch nie dagewesene Nachrüstungs- und Modernisierungswelle rollt gerade durch das österreichische Bundesheer. Morgen wird in Wien ein Vertrag unterzeichnet, mit dem die Beschaffung weiterer 225 Radpanzer fixiert wird. Erstmals in seiner Geschichte werden die Streitkräfte in den kommenden Jahren auf technologischer Ebene fähig sein, den österreichischen Luftraum, zumindest in Teilabschnitten, effektiv zu verteidigen und die eigene Truppe vor Luftangriffen zu schützen. Doch die Anschaffungen neuer Drohnen, nachgerüsteter Kampfpanzer und moderner Flugabwehrsysteme ist sind nur das Fundament, auf dem andere dringend benötigte Reformen folgen müssen, um die militärische Sicherheit Österreichs garantieren zu können.
Speziell handelt es sich hier um die Einsatzbereitschaft unseres Heeres im Ernstfall. Einer der dringend notwendigen Schritte ist eine substantielle Reform unseres Milizsystems, ohne die das Bundesheer in seiner jetzigen Struktur niemals kriegsfähig werden wird. Im Detail geht es um den politisch unpopulären Schritt der Einführung
von verpflichtenden Milizübungen. Verpflichtende Milizübungstage wurden Mitte der 2000er-Jahre durch einen Parlamentsbeschluss mit einer ÖVP– FPÖ-Mehrheit, zusammen mit einer Verkürzung der Wehrdienstzeit von acht auf sechs Monate, abgeschafft. Damit hatte Österreich das einzige Milizheer der Welt, in dem es keine verpflichtenden Übungen gab.
Das hat im Ernstfall schwerwiegende Konsequenzen für die Sicherheit des Landes. Der einzige militärische Grund, warum man ein System der Wehrpflicht aufrechterhält, ist, dass man im Ernstfall auf eine große Anzahl ausgebildeter Soldaten zurückgreifen kann. Die Grundprämisse einer solchen sogenannten Miliz-Streitkräftestruktur ist, dass jährliche Auffrischungskurse (Milizübungen) das im Wehrdienst erworbene Knowhow über einen langen Zeitraum erhalten und dafür sorgen, dass im Ernstfall der Soldat sein Handwerk beherrscht. Fällt der Auffrischungskurs
aber weg, verschwindet auch das Knowhow schnell. Damit hat der Wehrdienst, egal wie lange, langfristig null militärischen Wert.
Im Ernstfall wäre ein Milizsoldat, der nach Jahren ohne Milizübungen zu den Waffen gerufen wird, komplett nutzlos. Es wäre auch militärisch unverantwortlich, da unausgebildete Soldaten tendenziell früher fallen, verwundet werden oder Unfälle erleiden. Diese sechs Monate Grundwehrdienst in Österreich sind sowieso knapp bemessen, in der Regel beherrschen Grundwehrdiener erst im letzten Monat des Grundwehrdienstes die grundsätzlichen militärischen Fähigkeiten einigermaßen. In größeren Verbänden effektiv einsetzen, könnte man sie zum Beispiel
nicht.
Das bedeutet, dass für die meiste Zeit des Jahres beim sechsmonatigen Wehrdienst die Einsatzfähigkeit des Bundesheeres für einen Ernstfall nicht gegeben ist. Ein potenzieller Gegner, der diese Schwäche ausnutzen will, müsste nur die Einrückungstermine von Vollkontingenten studieren, um uns militärisch entblößt zu erwischen. Den Gefallen, genau in jenen circa vier Wochen im Jahr anzugreifen, in denen unsere wehrpflichtigen Soldaten einigermaßen gut ausgebildet sind, wird der Gegner uns wohl sicherlich nicht tun.
Ohne verpflichtende und reguläre Milizübungen ist im Kriegsfall ein Milizheer militärisch gesehen wertlos.
Auffrischungskurse, also Milizübungen, sind dazu da, das minimale militärische Knowhow der Soldaten nach sechs Monaten Wehrdienst zu erhalten und zu erweitern. Der Erhalt dieses Knowhows wird seit Jahren mit einer Freiwilligenmiliz versucht. Das funktioniert aber nicht. Der Hauptgrund hierfür
ist Personalmangel. Das ist wenig überraschend. Streitkräfte in Europa und den USA haben zurzeit alle ein Problem, neue Rekruten anzuwerben. Auch in Österreich melden sich nicht genug Freiwillige, vor allem was die unteren Ränge und Soldaten mit Spezialausbildung betrifft, um die Einsatzfähigkeit des mobilisierten Bundesheeres im Ernstfall sicherzustellen. Die Freiwilligenmiliz bleibt daher Stückwerk. Wie mir unlängst jemand aus dem Verteidigungsministerium schrieb: „Die Miliz stirbt uns unter den Händen weg und es kommt nichts nach. Wir rinnen aus.“
Ohne den Ansturm von Zigtausenden von Freiwilligen sind daher verpflichtende Milizübungen der einzige Weg, die Kriegsfähigkeit des Heeres aufzubauen und zu erhalten. Nur solche Auffrischungskurse können garantieren, dass die neu angeschafften Waffensysteme und andere Ausrüstung effektiv und effizient im Ernstfall im
Verbund eingesetzt werden und im Ernstfall in der Masse gut ausgebildete Soldaten zum Einsatz kommen.
Ohne verpflichtende und regulär abgehaltene Milizübungen ist im Kriegsfall ein Milizheer militärisch gesehen wertlos. Ich persönlich bleibe optimistisch, was die Wiedereinführung von verpflichtenden Milizübungen betrifft. Die letzten zwei Jahre haben dem Bundesheer nur Positives gebracht, und die Streitkräfte sind, was den Aufbau der Einsatzfähigkeit betrifft, grundsätzlich auf dem richtigen Weg. Einer der wichtigsten Grundbausteine zur Wiederherstellung unserer Verteidigungsfähigkeit fehlt aber nach wie vor. Konkrete Schritte für eine Wiedereinführung verpflichtender Milizübungen sollten in naher Zukunft gesetzt werden. Hierzu bedarf es aber politischen Willen. Ansonsten bleibt auch unsere militärische Landesverteidigung Stückwerk.