Ein Selbstfaller mit Folgen
Inhaltlich ist das Ersturteil gegen Ex-Kanzler Kurz kein Straßenfeger. Politisch wirksam ist es trotzdem. U-Ausschüsse kann man nun ins Schweigekloster verlegen.
s handle sich um keinen politischen Prozess, sagte der Richter in der Urteilsbegründung. Das war im besten Fall ein frommer Wunsch. Steht ein Kanzler, und sei es auch ein gewesener, vor dem Strafgericht, dann ist so eine Selbstbeschwörung nur beschränkt wirksam. Die Sphären des Juris- tischen und des Politischen, im Rechtsstaat normalerweise aus gutem Grund getrennt, fließen in solchen Fällen fast zwangs- läufig ineinander.
So wird denn auch der nicht rechtskräftige Schuldspruch ge- gen Sebastian Kurz vorrangig politisch diskutiert, und er hat auch politische Folgen. Die ÖVP blieb am Samstag schmallippig. Die nicht zuletzt von Kurz selbst gebetsmühlenartig beschwore- ne Illusion, es werde „eine An- klage, aber keine Verurteilung“geben, ist bis auf Weiteres ge- platzt. Die anderen Parteien boten freihändige Interpretatio- nen feil, die wenig über den Pro- zess und viel über die Agenda der Interpreten sagen.
Eine Rückkehr des einstweilig Verurteilten an die ÖVP-Spitze ist keine Option mehr. In den kommenden U-Ausschüssen ist eine große Schweige-Arie zu er
Eernst.sittinger@kleinezeitung.at
warten, da sich jeder Politiker gut überlegen wird, ähnliche Ka- lamitäten für sich heraufzube- schwören. Man wird keinen Lü- gen-, sondern einen Lückende- tektor brauchen.
Bei all dem ist die Basis dieses Urteils erstaunlich dünn. In zwei von drei Punkten wurde der Ex-Kanzler freigesprochen. Übrig blieb, dass er vor dem Ibi- za-U-Ausschuss die Intensität seiner Mitsprache bei der Bestel- lung der ÖBAG-Aufsichtsräte nicht in gebotener Deutlichkeit offengelegt habe. Das kann, aber muss man nicht als strafrecht- liche Falschaussage werten.
Selbst wenn das Obergericht den Schuldspruch bestätigt, bezieht er seine Wirkung mehr aus der Form als aus dem Inhalt. Ein verurteilter ÖVP-Kanzler – da- rauf kam es den Gegnern an. Thomas Schmid, ein charakter- lich unvorteilhaft beleumunde- ter Opportunist und Glücksrit- ter, darf jetzt auf die Kronzeugenrolle hoffen. Genützt hat ihm ausgerechnet der gescheiterte Doppelaxel der Verteidigung, die zwei wenig glaubwürdige Russen aufbot.
Die Kurz-Gegner mögen darin eine Parallele zu seiner Kanzlerschaft sehen, wo ja auch nicht jede Inszenierung funktionierte. Die Neigungsgruppe Kurz wiederum sollte spätestens jetzt lernen, dass Darstellung ohne Substanz oft sogar schlechter ankommt als Substanz ohne Darstellung. Der Häme sollte sich aber niemand hingeben. Der Pulverdampf aus der Schlacht verstellt allen die Sicht: Freund und Feind und auch dem verärgerten Publikum. Wie dieses seine Gunst bei der Wahl verteilen wird, ist unverändert ungewiss, zumal ja für Kurz noch weitere Gerichtstermine bevorstehen, Stichwort Inseratenaffäre. ie FPÖ hat übrigens gegen ihre sonstige langjährige Übung in den ersten Stunden nach dem Urteil klug geschwiegen, anstatt auf den Verurteilten noch verbal draufzudreschen. Das kann man als durchaus valides Zeichen sehen: Mit Mitleids-Mechanismen kennt man sich in diesem Lager ziemlich gut aus.
D
scannen und das Video sehen.