Ein Ex-Polizist stürzt Haiti ins Chaos
Berüchtigter Bandenführer präsentiert sich als Robin Hood Haitis.
alcolm X, Fidel Castro und Thomas Sankara – der Bandenchef Jimmy Chérizier, genannt „Barbecue“, stellt sich gerne in eine Reihe mit prominenten Revolutionären. In Inter- views bezeichnet er sie als seine Vorbilder. In den Armenvierteln von Portau-Prince wird er auf Wandgemälden mit „Che“Guevara verglichen. Ein schmeichelnder Vergleich für den 47-Jährigen.
Das Leben auf Haitis Straßen wird seit Jahren von Bandengewalt geprägt, nun scheint sogar eine Machtübernahme durch Gangmitglieder wahrscheinlich. Während eines Auslandsaufenthalts des bisherigen Regierungschefs Ariel Henry, der eigentlich schon Anfang Februar sein Amt zurücklegen hätte sollen, eskalierte die Gewalt. Das Innenministerium brannte, Flughäfen und Gefängnisse wurden attackiert, Tausende Häftlinge entkamen. Am Montag kündigte Henry seinen Rücktritt an – und beugte sich damit dem Druck des Rädelsführers Chérizier, der es zuvor geschafft hatte, verfeindete
MBanden im Kampf gegen die Regierung zur Zusammenarbeit zu bewegen. Es ist nicht das erste Mal, dass Chérizier – Chef der kriminellen Organisation mit dem Namen G9 – für Aufsehen sorgt. Bevor er zum berüchtigten Gangleader wurde, war er Mitglied der Nationalpolizei des Landes. Dort machte er Karriere, war Teil einer brutalen Spezialeinheit, die Regierungskritiker ins Visier nahm. 2018 wurde er wegen angeblicher Beteiligung an Verbrechen aus dem Polizeidienst ausgeschlossen und zur Verhaftung ausgeschrieben. Eines dieser Verbrechen soll ein Massaker in dem Slum „La Saline“gewesen sein, bei dem 71 Menschen getötet, sieben Frauen vergewaltigt und 400 Häuser niedergebrannt wurden.
So revolutionär und aufwieglerisch sich der Gang-Boss nun inszeniert – Chérizier wusste sich auch mit dem alten Machtzirkel zu arrangieren, galt als enger Vertrauter des ermordeten Präsidenten Jovenel Moïse.
Politikwissenschaft an der Fachhochschule Kärnten.