Der Herr der Nashörner
eboren wurde Eugène Ionesco am 26. November 1909 im damaligen Königreich Rumänien, gestorben ist er am 28. März 1994 in Paris. Sein erstes Stück „Die kahle Sängerin“wurde 1950 uraufgeführt, in diesem Jahr nahm er auch die französische Staatsbürgerschaft an. Der künstlerische Durchbruch erfolgte 1951 mit dem Stück „Die Stühle“, Ionesco etablierte sich damit als wichtigster Vertreter des absurden Theaters. Im
Herbst 1957 erschien die Erzählung „Rhinocéros“, aus der im Jahr darauf das Stück „Die Nashörner“entstand. Ionesco erklärte später, das Stück sei als generelle Kritik an Massenbewegungen zu verstehen. 1970 wurde Ionesco in die Académie française aufgenommen, als er drei Jahre später im Stück „So ein Tollhaus“die 68er-Bewegung kritisierte, wurde der linksorientierte Autor als faschistoid beschimpft. Ionesco starb im Alter von 84 Jahren.
Zum nebenstehenden Text angeregt wurde Egyd Gstättner durch einen Reisebericht des ehemaligen ARDKorrespondenten Ulrich Wickert, in dem er das Bankett mit Václav Havel, Präsident der CSFR, kurz erwähnt. Gegeben hat es der damalige sozialistische Kulturminister Frankreichs Jack Lang im Jahr 1991.
GStellen Sie sich vor“, erzählte mir Meister Ionesco, „meine Nashörner sind in vierzig Ländern gespielt worden! Auch in Deutschland. Die deutsche Presse hat nach der Premiere geschrieben: So sind wir Nazis geworden! Da hat man mich verstanden. Nur in Russland gab es Schwierigkeiten, ausgerechnet dort! Die Russen schrieben mir, die dramatischen Qualitäten der Nashörner seien brillant, doch könne es gewisse Missverständnisse geben. Ich müsse begreifen, schrieben die Russen, sie müssten ihr Publikum erziehen. Damit es ganz genau weiß, wer diese Nashörner seien, müssten gewisse Repliken geändert werden. Sie bezweifelten nicht, dass ich ein Progressist war und dass die Nashörner für mich dieselben waren wie für sie. Ich antwortete, es sei besser, nichts an dem Stück zu ändern. Nun, in Russland, in der Sowjetunion sind die Nashörner nie gespielt worden. Man wollte eben nur rechte Nashörner. Die Russen behaupteten, ich sei zweifellos krank, und sie hätten bei sich psychiatrische Kliniken für asoziale Schriftsteller eingerichtet. Die Russen könnten mich heilen und alle anderen ungesunden, exzentrischen und rebellischen Autoren ebenfalls. Es war das erste Mal, dass ich von sowjetischen psychiatrischen Kliniken für Künstler und Intellektuelle hörte, aber ich hielt es für einen Scherz. Jetzt wissen wir, dass es das gibt. Zensoren, Politiker und Funktionäre hatten zu entscheiden, was die gerechte Sache war. Der Schriftsteller, der Künstler durfte keine Ideen oder Ideologien haben, die nicht die des Staates waren und die der Staat ihnen zu haben befahl. Weil Schriftsteller und Künstler vom Staat bezahlt würden, hätten sie seine Bediensteten zu sein. Ganz offensichtlich war es die Absicht der Regierungen und Ministerien, die Kultur zu dirigieren …“
„Aber die Sowjetunion, der Kommunismus sind zerbrochen und zugrunde gegangen, lieber Meister“, entgegnete ich, „ganz so wie von Ihnen vorhergesagt!“ch weiß, ich weiß“, erwiderte Ionesco. „Ich habe das Verlöschen als Greis noch erlebt. Aber meine Prophezeiung hat mir wenig Applaus eingetragen. Der Kommunismus war zugrunde gegangen, aber nicht die Mechanismen, die bedingten Reflexe zwischen rechts und links, die Instrumentalisie- rungen, die Inszenierungen, die Diffamierungen, die Kulturkorruption, die völlige Verwahrlosung aller Wahrheiten … zuerst galt ich als Linker, weil ich den Faschismus, Hitler und seine Konzentrationslager verteufelte. Aber dann galt ich, weil ich auch den Kommunismus, Stalin und seine Konzentrationslager verteufelte, als Rechter, und man mied mich und feierte andere im Land, die nämlich, die Stalin feierten und zu dessen Konzentrationslagern schwiegen: Sartre etwa, dieses Nashorn von Rang. Dieselben
Iabscheulichen Verbrechen, die ihre Feinde begangen hatten, nannten sie, als ihre Freunde sie begingen, historische Notwendigkeiten. Nashörner gibt es überall. Ausgesöhnt hat sich die Linke mit mir nie. Als ich ein sehr alter Mann war und mein ganzes Werk schon vollbracht hatte, mied und missachtete die vom sozialistischen Kulturminister dirigierte Kulturmafia mich. Die Mafiosi sagten indigniert, ich sei tatsächlich, wie einst von den Reaktionären behauptet, bloß ein kleiner Witzbold. Man habe sich in mir getäuscht, man habe mich überschätzt.
Ich hatte keine drei Jahre mehr zu leben, als der tschechische Staatspräsident Havel zu einem Staatsbesuch nach Paris kam, der Schriftsteller und früher im Kommunismus als Dissident und Regimekritiker im Gefängnis gesessen war. Aber nun hatten sich die Dinge und die Verhältnisse geändert. Zu Ehren des hohen Besuchs gab der französische Kulturminister einen Empfang, zu dem alles geladen war, was Rang und Namen hatte. Ich gehörte nicht dazu. Aber als Havel zum Empfang kam, fragte er den französischen Kulturminister als erstes: ‚Wo ist Ionesco?‘ - ‚Welcher Ionesco?‘, fragte der Minister. ‚Ist das ein Herr vom Weltkulturerbe? Oder dieser gehbehinderte Rechtsreaktionär?‘ onesco ist so rechts oder links wie ich‘, fauchte der tschechische Präsident den französischen Minister an, ‚Ionesco ist ein Klassiker der
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Moderne! Ohne ihn wäre Ihre französische Literatur nicht das, was sie ist. Auf viele Gesichter, die hier bei Ihrem Empfang sitzen, könnten Sie verzichten, Herr Minister, auf Eugène Ionesco nicht. ICH WILL IONESCO SEHEN!‘ Präsident sticht Minister: Altes Gesetz.
Was für eine peinliche Situation! Jetzt musste der diplomatische Notdienst aktiviert werden. Alles, was in Frankreichs Kultur Rang und Namen hatte, musste Frankreichs gemaßregelter Kulturminister links liegen lassen, sich hinter die Kulissen praktizieren und seine Frau instruieren, doch dringend Frau Ionesco anzurufen und ihrem Mann zu huldigen. Er sei der Größte, Bedeutendste, Richtungsweisendste blablabla, ein Monolith in der literarischen Landschaft Frankreichs, ein Mann wie Beckett und Joyce und Shakespeare zusammen blablabla, ein bedauerliches Missverständnis natürlich, man lade ihn und seine bezaubernde Gattin zum Staatsbankett ein, alle Stühle seien besetzt, nur einer, der wichtigs- te nicht, man hole das Paar mit einer Staatslimousine ab, die Vorspeise würde nachgereicht. Bitte, bitte, bitte, jetzt keine Umstände machen, die Zeit drängt, jetzt nicht nachtragend sein, lieber staatstragend sein, jetzt ans Wohl der Nation denken, allons enfants de la patriiie, der Grand Nation, le jour de gloire est arrivé, marchons! Marchons au Pinguining! Bitte, bitte, bitte! nd so kam es, dass die Kinder vom Montparnasse sahen, wie eine dunkle Staatskarosse am Boulevard Nr. 96 hielt und nicht nur die Ministergattin mit einer Blaulichtfrisur am Kopf, sondern auch zwei Staatsdiener ausstiegen, die einen roten Teppich bis hinauf ins sechste Stockwerk rollten, Ionesco in den Rollstuhl hoben und die sechs Stockwerke im Rollstuhl hinunter peppelten, während die Ministergattin ihn behutsam fragte, ob er es sich eventuell vorstellen könnte, anlässlich dieses Staatsbanketts eine Krawatte umzubinden, worauf er entgegnete: Sicher nicht! was die Ministergattin mit einem Ganz-wie-Sie-meinen quittierte und bloß in Gedanken ergänzte: Du seniler Kretin mit deinen absurden Tränensäcken! Ionescos Frau Rodica sagte der Ministergattin scharf: Das habe ich gehört! „Bei meiner Ankunft begrüßte mich der tschechische Präsident mit besonderer Herzlichkeit und sagte so laut, dass es das ganze Kulturgünstlingsgesindel und alle, die in Frankreichs Kultur Rang und Namen hatten, hören mussten, mein Werk habe ihn überhaupt erst zum Schreiben animiert. Nach der Abreise des tschechischen Präsidenten wurde ich in Paris natürlich desto energischer gemieden. Die Nashörner trampelten indigniert an mir vorbei.“
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