Der Polster schmilzt
Franzobel, 1967 geboren, Schriftsteller und Sportfan.
ort, wo der Humor aufhört, fängt Österreich an, und selten ist dabei klar, ob man lachen oder weinen soll. Eine fast zur Staatsaffäre hochgeorgelte Gerichtsposse spielt sich derzeit in Wien ab, wo Anton Polster um Tore feilscht. Es geht um zwei als inoffiziell gewertete Länderspiele aus dem Jahre Schnee. 1984 besiegte Österreich Liechtenstein 6:0 und drei Jahre später Tunesien 3:1. Drei Tore erzielte Polster, und die werden, was ihn wurmt, in den Statistiken nicht geführt. Also steht er bei 44 Länderspieltoren, zehn mehr als der drittplatzierte Goleador Hans Krankl. Aber den Atem des bei 36 Toren haltenden Marko Arnautovic kann der Toni bereits spüren. Der Polster schmilzt. Zwar weiß man nicht, wie lange Arnautovic noch kickt, aber vielleicht fällt dem ÖFB eine Länderspielserie gegen Andor- ra, Gibraltar und San Marino ein?
Was wie lächerliches Trara und ein Eigentor in Sachen Image klingt, ist dem sechzig- jährigen Polster eine torernste Sache. Eben erst von einem Magendurchbruch genesen, gilt die verordnete Schonkost nämlich nicht beim Torhunger. Der Mann lebt von Toren, kann sie riechen, es sind seine Kinder. Recht hat er, und darum will er es auch bekommen. Das Problem sind die Paragraphenreiter. Die aus ligatechnischen Gründen als inoffiziell gewerteten Länder- spiele haben möglicherweise nicht allen Regularien entsprochen. In Tunis soll es zu Lachausbrüchen gekommen sein, als der ÖFB Einblick in
Ddas dortige Archiv wollte. Aber was kann der Toni dafür, dass die Tunesier kein Archiv haben? Tor ist Tor und Toni ist Toni. Ist nicht gerade beim Sport immer von Ewigkeit und Geschichtsbüchern die Rede? Jurisch scheint die Sache so umstritten wie der Wembley-Lattenpendler, und kann vielleicht nur mit einem Elferschießen der Anwälte entschieden werden. Oder man einigt sich auf einen Vergleich und gibt dem Steifen, wie ihn Andi Herzog nennt, eineinhalb Tore? Klingt absurd, wäre aber kein Novum. In Brasilien gab es einmal einen Spielausgang mit einem Halbtor Unterschied, was zustande kam, weil zwar die Innenhaut des Balls, die Seele, nicht aber die Lederummantelung im Netz landete.
Gebt ihm halt die drei Türln, wenn es ihm eine Freude macht. Aber was dem Sportfan salomonisch, stellt dem Statistiker die Krausbirnen auf. Sollen plötzlich inoffizielle Spiele gewertet werden? Im Tennis Schaukämpfe, Hobbyrennen beim Skifahren, Trainingsflüge, Rundenzeiten?
Ein unüberschaubares Chaos! ommt ein Stürmer, der ein Verbrechen begeht, auch in den Strafraum? Oder wird er in die Mauer gestellt? Ob sich Polster mit dieser Aktion ins Abseits manövriert hat, wird sich zeigen, aber eines hat er auf jeden Fall getroffen, den Humor der Österreicher. Bei uns ist es lustig. Hoffentlich sieht auch Ralf Rangnick, dass er hier mehr zu lachen hat als in München, weil wo der Humor aufhört, fängt der FC Bayern an.
K