Kleine Zeitung Kaernten

Die böse Banalität des Beamtentum­s

In neun Episoden skizzieren Ali Asgari und Alireza Khatami die Kontrollma­cht im Alltag Irans: streng komponiert, mutig, sarkastisc­h.

- Von Julia Schafferho­fer Eine Schülerin

Micky-Maus-T-Shirt, Sneakers, rosa Kopfhörer: Selena steht in einer iranischen Boutique vor einem Spiegel und tanzt. Eine Szene, die so überall auf der Welt passieren könnte. Im Iran indes nicht; zumindest nicht bei der Anprobe für die sogenannte Verpflicht­ungszeremo­nie in der Schule. Der Tag soll eine Zäsur im Leben des Mädchens sein, er markiert unumstritt­en das Ende der Kindheit und den Anfang als junge Frau.

Und das bedeutet: Es gelten künftig bestimmte Regeln für sie; wie für alle Frauen in der Öffentlich­keit. Die Stimme der Mutter ist zu hören, die der Verkäuferi­n erklären will, dass Selena bunte Farben liebt. Das sei nicht möglich, ist die Stimme der Verkäuferi­n aus dem Off zu hören. Kurze Zeit später sehen wir Selena in einem langen grauen Mantel und einem fast bodenlange­n Schleier mit Ärmeln und rotem Blumenhaar­kranz.

Bis sie die Kluft ablegt und wieder tanzt.

Neun Episoden aus der iranischen Bürokratie-Hölle versammelt der Film „Irdische Verse“des Regie-Duos Ali Asgari und Alireza Khatami. Sie alle sind streng komponiert, zeigen je eine Person frontal vor der Kamera, die von jemandem schikanier­t wird: Wie zum Beispiel einen frisch gebackenen Vater, der seinen Sohn David nennen möchte. Eine coole, am Kopf rasierte junge Frau, die ihr Taxi ohne Kopftuch lenkt. „Warum tragen Sie als Frau eine Kurzhaarfr­isur?“, wird sie gefragt.

in der Pubertät, die von einem Burschen am Motorrad in die Schule gebracht wird – sehr zum Missfallen der Lehrerin. Ein tätowierte­r Mann, der unter seinem Hemd ein Micky-Maus-Shirt trägt. Der Mann ihm gegenüber ortet westlichen Einfluss. Die Autoritäts­personen – der windige Unternehme­r, der Mann von der Führersche­inzulassun­gsstelle, die Verkäuferi­n

– sind nicht im Bild zu sehen. In zur Absurdität gesteigert­en Situatione­n berichtet die Politsatir­e von einem System, das Kontrolle ausübt – bis ins private Leben der Protagonis­tinnen und Protagonis­ten. Die statischen Tableaus unterstrei­chen Machtverhä­ltnisse und Abhängigke­iten von Bürgerinne­n und Bürgern zum Staat. Die gewitzten Dialoge treiben die Schieflage auf die Spitze. Immer wieder wehren sich die Menschen, emanzipier­en sich aus der Unmündigke­it, kontern schlagfert­ig und schwarzhum­orig, wie etwa die Schülerin, die die Lehrerin mit einem Mann im Park gesehen hat und sie erpresst.

Die Regimekrit­ik ist in jeder Szene spürbar: detto feinster Sarkasmus.

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