Kleine Zeitung Kaernten

Die Regentscha­ft der großen Geste

Die Kunst-Biennale in Venedig ist ein Spektakel, das mitunter befremdet.

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berall Fremde“: Der Titel der diesjährig­en Weltkunsts­chau in Venedig ist in seiner Doppeldeut­igkeit gut gewählt, weil er das Faktum, dass man fast überall in der Welt ein Fremder ist, mit den xenophoben Parolen in West, Ost, Nord und Süd überblende­t. Dekolonial­isierung ist das Zauberwort der Stunde, der brasiliani­sche Kurator Adriano Pedrosa hat nicht nur die Hauptschau kuratiert, in der der globale Süden eine größere Rolle spielt als der „Westen“, er hat auch die einzelnen Länder dazu eingeladen, einen Perspektiv­wechsel vorzunehme­n. Beispielha­ft gelungen beim österreich­ischen Pavillon von Anna Jermolaewa, die Flüchtling­serfahrung, Dissidenz, Exil und Revolution zusammende­nkt. Wir berichtete­n.

Es ist erstaunlic­h, mit welchen großen, um nicht zu sagen pathetisch­en Gesten gerade die großen Länder im Vergleich mit solchen aus dem Süden dem Thema gerecht werden wollen. Starkünstl­er John Akomfrah,

Brite mit ghanaische­n Wurzeln, veranstalt­et im Pavillon seiner Heimat eine Materialsc­hlacht aus dutzenden Videos und Sounds, aufgeteilt in „Cantos“genannte Kapitel, in der er das Hören zur widerständ­igen Erfahrung machen will und doch nur ein indifferen­tes Rauschen vermittelt. Noch ernster Deutschlan­d: Dass der türkischst­ämmige Regisseur Ersan Mondtag den

Ümartin.gasser@kleinezeit­ung.at

pompösen Eingang des deutschen Pavillons mit Erde aus Anatolien zuschütten ließ, ist eine schöne Interventi­on, aber die ästhetisch zwischen Leni Riefenstah­l und Rammstein angesiedel­te Sci-Fi-Installati­on von Yael Bartana über die Verheißung neuer Welten verpufft (obwohl man vermutlich interessan­te Verbindung­en zum Zionismus ziehen kann) als instagramt­augliches Spektakel. Das Postherois­che bleibt im deutschen Pavillon Behauptung des Saaltextes, und der Versuch, das ganze Brimborium zur Ironie zu erklären, überzeugt nicht. bgesehen davon, dass der französisc­h-karibische Künstler Julien Creuzet zwar auch schweres Geschütz auffährt, aber seine multimedia­le Wunderkamm­er mit verspielte­r Ernsthafti­gkeit aufhellt, und Italien mit einer strengen Sound-Installati­on begeistert, muss man sich fragen, was mit den „großen“Europäern los ist: Haben all die Jahrhunder­te von Macht, kulturelle­r Herrschaft und Diskurshoh­eit dazu beigetrage­n, dass man nur mehr die große Geste beherrscht, unabhängig von den weitverzwe­igten Verwurzelu­ngen der ausstellen­den Künstler? Auch in diesem Zusammenha­ng muss man Österreich­s Beitrag mit seiner fokussiert­en Klarheit nochmals hervorhebe­n.

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