Fritzl, eine Zumutung
Josef Fritzl kommt in den Normalvollzug. Das werden viele nicht verstehen. Freigelassen wird er vorerst nicht, der große Aufschrei ist damit vertagt.
osef Fritzl wird in den Normalvollzug verlegt, ein Richtersenat hat das nach eingehender Beratung so beschlossen. Für alle, die sich jetzt fragen, was das bedeutet: vorerst nicht viel.
Der jetzt 88-Jährige hat seine eigene Tochter fast 24 Jahre lang im Keller gefangen gehal- ten und immer wieder vergewal- tigt. Er hat mit ihr sieben Kinder gezeugt. 2009 wurde er für seine Verbrechen zu lebenslanger Haft verurteilt und wegen sei- ner Gefährlichkeit in eine „An- stalt für geistig abnorme Rechtsbrecher“eingewiesen. Heute sagt man politisch kor- rekter „forensisch-therapeuti- sches Zentrum“dazu. Aber bei aller Problematik des Begriffs: An Fritzls Abnormität zweifelte damals wie heute niemand.
Unterstützt von seiner Anwältin, hat der inzwischen de- mente und laut Gutachten nicht mehr gefährliche Greis, der sich – wenn das stimmt – an seine Verbrechen selber kaum erin- nern kann, darum gekämpft, aus der Anstalt in den Normal- vollzug zu kommen. Aus der An- stalt in die (Justiz-)Anstalt. Physikalisch bleibt damit alles gleich: Er war in Stein, er bleibt
Jalfred.lobnik@kleinezeitung.at
vorerst in Stein. Der Unterschied ist, dass er jetzt theoretisch be- dingt entlassen werden könnte.
Das werden viele, wahrscheinlich sogar die Mehrheit, als Zu- mutung empfinden, die damals 2009 lautstark gefordert haben, man sollte ihn an gewissen Kör- perteilen aufhängen oder zu- mindest für immer in den Keller sperren. Aber selbst jene, denen sadistische Fantasien fremd sind und die nur an die Opfer denken, werden Probleme ha- ben, die jetzige Entscheidung zu verstehen.
Aber so ist es eben, Rechts- sprechung ist eine Zumutung. Eine Zumutung für unser allzu oft ungesundes Volksempfin- den, eine Zumutung für unsere niederen Instinkte. Und auch ei- ne Zumutung für unsere nur zu menschlichen Emotionen. Nie- mand glaube, dass Juristinnen und Juristen von all dem unbe- rührt sind. Es gibt nur einen Un- terschied: Wenn sie den Talar überstreifen, haben sie nicht mehr den Luxus, sich von ihren Emotionen leiten zu lassen, sondern vom Gesetz, das nicht nur in Sonntagsreden für alle gleich sein sollte. Die Grundlage für Maßnahmenvollzug existiert nicht mehr, es war so zu entscheiden. nders liegt es bei der Frage der bedingten Entlassung aus dem Normalvollzug. Der Richtersenat hat ja zugleich entschieden, dass Fritzl nicht in diesen Genuss kommt. Nicht jetzt. Wegen der „beispiellosen kriminellen Energie anlässlich der verurteilten Taten“könne man nicht davon ausgehen, dass er künftig keine Delikte mehr begeht. Das ist fast salomonisch, reizt aber den Interpretationsspielraum bis ans Äußerste aus. Ausschließen kann man freilich nicht, dass ein 88-jähriger dementer Mann, der sich mit Rollator fortbewegt und dessen Sexualtrieb erloschen ist, künftig etwas anstellt.
Die Staatsanwaltschaft wird Rechtsmittel einlegen, die Verteidigung weiter für seine Freiheit kämpfen. Der Fall beweist: Das System funktioniert – unvollkommen, aber doch.
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