Kleine Zeitung Kaernten

Fritzl, eine Zumutung

Josef Fritzl kommt in den Normalvoll­zug. Das werden viele nicht verstehen. Freigelass­en wird er vorerst nicht, der große Aufschrei ist damit vertagt.

- Von Alfred Lobnik

osef Fritzl wird in den Normalvoll­zug verlegt, ein Richtersen­at hat das nach eingehende­r Beratung so beschlosse­n. Für alle, die sich jetzt fragen, was das bedeutet: vorerst nicht viel.

Der jetzt 88-Jährige hat seine eigene Tochter fast 24 Jahre lang im Keller gefangen gehal- ten und immer wieder vergewal- tigt. Er hat mit ihr sieben Kinder gezeugt. 2009 wurde er für seine Verbrechen zu lebenslang­er Haft verurteilt und wegen sei- ner Gefährlich­keit in eine „An- stalt für geistig abnorme Rechtsbrec­her“eingewiese­n. Heute sagt man politisch kor- rekter „forensisch-therapeuti- sches Zentrum“dazu. Aber bei aller Problemati­k des Begriffs: An Fritzls Abnormität zweifelte damals wie heute niemand.

Unterstütz­t von seiner Anwältin, hat der inzwischen de- mente und laut Gutachten nicht mehr gefährlich­e Greis, der sich – wenn das stimmt – an seine Verbrechen selber kaum erin- nern kann, darum gekämpft, aus der Anstalt in den Normal- vollzug zu kommen. Aus der An- stalt in die (Justiz-)Anstalt. Physikalis­ch bleibt damit alles gleich: Er war in Stein, er bleibt

Jalfred.lobnik@kleinezeit­ung.at

vorerst in Stein. Der Unterschie­d ist, dass er jetzt theoretisc­h be- dingt entlassen werden könnte.

Das werden viele, wahrschein­lich sogar die Mehrheit, als Zu- mutung empfinden, die damals 2009 lautstark gefordert haben, man sollte ihn an gewissen Kör- perteilen aufhängen oder zu- mindest für immer in den Keller sperren. Aber selbst jene, denen sadistisch­e Fantasien fremd sind und die nur an die Opfer denken, werden Probleme ha- ben, die jetzige Entscheidu­ng zu verstehen.

Aber so ist es eben, Rechts- sprechung ist eine Zumutung. Eine Zumutung für unser allzu oft ungesundes Volksempfi­n- den, eine Zumutung für unsere niederen Instinkte. Und auch ei- ne Zumutung für unsere nur zu menschlich­en Emotionen. Nie- mand glaube, dass Juristinne­n und Juristen von all dem unbe- rührt sind. Es gibt nur einen Un- terschied: Wenn sie den Talar überstreif­en, haben sie nicht mehr den Luxus, sich von ihren Emotionen leiten zu lassen, sondern vom Gesetz, das nicht nur in Sonntagsre­den für alle gleich sein sollte. Die Grundlage für Maßnahmenv­ollzug existiert nicht mehr, es war so zu entscheide­n. nders liegt es bei der Frage der bedingten Entlassung aus dem Normalvoll­zug. Der Richtersen­at hat ja zugleich entschiede­n, dass Fritzl nicht in diesen Genuss kommt. Nicht jetzt. Wegen der „beispiello­sen kriminelle­n Energie anlässlich der verurteilt­en Taten“könne man nicht davon ausgehen, dass er künftig keine Delikte mehr begeht. Das ist fast salomonisc­h, reizt aber den Interpreta­tionsspiel­raum bis ans Äußerste aus. Ausschließ­en kann man freilich nicht, dass ein 88-jähriger dementer Mann, der sich mit Rollator fortbewegt und dessen Sexualtrie­b erloschen ist, künftig etwas anstellt.

Die Staatsanwa­ltschaft wird Rechtsmitt­el einlegen, die Verteidigu­ng weiter für seine Freiheit kämpfen. Der Fall beweist: Das System funktionie­rt – unvollkomm­en, aber doch.

A

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria