Der Kunstbetrieb schluckt es
Mozarts „La Clemenza di Tito“bei den Wiener Festwochen: keine Apokalypse, sondern Bestandsaufnahme der Gegenwart.
ie Welt in dieser „Clemenza“ist zweigeteilt. Auf der einen Seite leben die „Happy Few“, die Kaiser Titus anhimmeln und seine Kunstwerke bewundern. Der Herrscher ist in dieser Festwochen-Produktion eine Art malender Fürst, der unter großen „Ahs!“und „Ohs!“coram publico ein paar Pinselstriche zieht. Der Bewunderte hat natürlich stille Handlanger im Atelier, die ihm die ganze künstlerische Plackerei abnehmen. Er gibt höchstens ein paar Anweisungen und Verbesserungsvorschläge. Die Gemälde und Skulpturen handeln vom Unrecht der anderen Seite, zeigen das Leid der Armen und Unterdrückten. Pseudo-kritische Kunst als Instrument der Machterhaltung.
Hinter dem Gepränge des museumsartigen Palastes liegt die Schattenseite, wie die Drehbühne bald enthüllt. Dort sind die Menschen vom Rand, wohl auch Opfer des Vulkanausbruchs, der der Handlung der Oper vorangeht. Zwischen Wohnwagen und Ölfässern lebt das Lumpenproletariat, Ausgestoßene, Deviante
Dund Delinquenten. Alle die, die von der Weisheit und Milde des Kaisers wenig haben und nur als Motiv herhalten dürfen.
So viel zur Selbstironie, mit der Milo Rau nicht nur die Wohlstandsgesellschaft im Allgemeinen, sondern auch den Kunstbetrieb und sich selbst geißelt. „Titus, c‘est moi!“, meint der Regisseur, der die Parallelen zwischen einem ausbeuterischen Krisengewinnler als Künstler und sich selbst zu ziehen bereit ist.
Es ist keine Apokalypse, die Rau hier auf die Bühne bringt, es ist eine Bestandsaufnahme der Gegenwart. Eine der brutalen Übersteigerungen. Dem letzten Wiener wird das Herz herausgerissen (auch dieses wird zum Gemäldemotiv), ein Paar wird aufgehängt (das nächste Motiv), und trotz der Drastik verbreitet der Abend oft Langeweile, weil die politische Aufladung und der Einzug einer Ebene mit den realen Lebensgeschichten der Darsteller (natürlich über Video) etwas Wesentliches verblassen lassen: die Sänger.
Obwohl mit der Ausnahme von Anna Goryachova als Sesto und eventuell Maria Warenberg als Annio das Ensemble nur Durchschnitt bietet: Die Interpreten haben es schwer. Besonders im Finale, wo nacheinander an der Rampe gesungen wird und szenisch nichts mehr von den biografischen Videos ablenkt. Das Lehrtheater drängt das eigentlich alle Normen sprengende (Mozarts Musik) in den Hintergrund. Ob man wirklich ein Mehr an politischer Analyse und ethischer Ambition für den Zauber der Musik (ohne den das Leben ein Irrtum wäre, wie einmal bemerkt worden ist) tauschen möchte?
Und doch: Milo Rau hat ein Konzept. Und ihm gelingen grandiose Momente. Etwa die Reanimation des Titus durch zwei Schamaninnen und seine Wiederannäherung an den Freund und späteren Attentäter Sesto. Das ist so berührend inszeniert, dass klar wird, dass dieser Titus kein reiner Zyniker ist. Seine Milde, hier wird sie für Augenblicke greifbar. Die vielen realen biografischen Einsprengsel dokumentieren wiederum die integrative Kraft der Kunst und deren revolutionäres Potenzial: Al