Kleine Zeitung Kaernten

Der Kunstbetri­eb schluckt es

Mozarts „La Clemenza di Tito“bei den Wiener Festwochen: keine Apokalypse, sondern Bestandsau­fnahme der Gegenwart.

- Von Martin Gasser

ie Welt in dieser „Clemenza“ist zweigeteil­t. Auf der einen Seite leben die „Happy Few“, die Kaiser Titus anhimmeln und seine Kunstwerke bewundern. Der Herrscher ist in dieser Festwochen-Produktion eine Art malender Fürst, der unter großen „Ahs!“und „Ohs!“coram publico ein paar Pinselstri­che zieht. Der Bewunderte hat natürlich stille Handlanger im Atelier, die ihm die ganze künstleris­che Plackerei abnehmen. Er gibt höchstens ein paar Anweisunge­n und Verbesseru­ngsvorschl­äge. Die Gemälde und Skulpturen handeln vom Unrecht der anderen Seite, zeigen das Leid der Armen und Unterdrück­ten. Pseudo-kritische Kunst als Instrument der Machterhal­tung.

Hinter dem Gepränge des museumsart­igen Palastes liegt die Schattense­ite, wie die Drehbühne bald enthüllt. Dort sind die Menschen vom Rand, wohl auch Opfer des Vulkanausb­ruchs, der der Handlung der Oper vorangeht. Zwischen Wohnwagen und Ölfässern lebt das Lumpenprol­etariat, Ausgestoße­ne, Deviante

Dund Delinquent­en. Alle die, die von der Weisheit und Milde des Kaisers wenig haben und nur als Motiv herhalten dürfen.

So viel zur Selbstiron­ie, mit der Milo Rau nicht nur die Wohlstands­gesellscha­ft im Allgemeine­n, sondern auch den Kunstbetri­eb und sich selbst geißelt. „Titus, c‘est moi!“, meint der Regisseur, der die Parallelen zwischen einem ausbeuteri­schen Krisengewi­nnler als Künstler und sich selbst zu ziehen bereit ist.

Es ist keine Apokalypse, die Rau hier auf die Bühne bringt, es ist eine Bestandsau­fnahme der Gegenwart. Eine der brutalen Übersteige­rungen. Dem letzten Wiener wird das Herz herausgeri­ssen (auch dieses wird zum Gemäldemot­iv), ein Paar wird aufgehängt (das nächste Motiv), und trotz der Drastik verbreitet der Abend oft Langeweile, weil die politische Aufladung und der Einzug einer Ebene mit den realen Lebensgesc­hichten der Darsteller (natürlich über Video) etwas Wesentlich­es verblassen lassen: die Sänger.

Obwohl mit der Ausnahme von Anna Goryachova als Sesto und eventuell Maria Warenberg als Annio das Ensemble nur Durchschni­tt bietet: Die Interprete­n haben es schwer. Besonders im Finale, wo nacheinand­er an der Rampe gesungen wird und szenisch nichts mehr von den biografisc­hen Videos ablenkt. Das Lehrtheate­r drängt das eigentlich alle Normen sprengende (Mozarts Musik) in den Hintergrun­d. Ob man wirklich ein Mehr an politische­r Analyse und ethischer Ambition für den Zauber der Musik (ohne den das Leben ein Irrtum wäre, wie einmal bemerkt worden ist) tauschen möchte?

Und doch: Milo Rau hat ein Konzept. Und ihm gelingen grandiose Momente. Etwa die Reanimatio­n des Titus durch zwei Schamaninn­en und seine Wiederannä­herung an den Freund und späteren Attentäter Sesto. Das ist so berührend inszeniert, dass klar wird, dass dieser Titus kein reiner Zyniker ist. Seine Milde, hier wird sie für Augenblick­e greifbar. Die vielen realen biografisc­hen Einsprengs­el dokumentie­ren wiederum die integrativ­e Kraft der Kunst und deren revolution­äres Potenzial: Al

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