Kleine Zeitung Steiermark

Vommoped und dem Hinterngef­ühl

Maria Lassnig erhält in Venedig den Lebenswerk-preis. Ein Retourblic­k.

- APA MICHAEL TSCHIDA

Körperbewu­sstsein, auf Leinwand gebracht: Malerin Maria Lassnig

Sie ist 93. „Die Leute denken ja, man ist ein toter Stein. Aber in Wahrheit ist man sehr lebendig. Selbst die Libido hört nicht auf, furchtbar!“, sagt sie.

Am Samstag erhält sie bei der Kunstbienn­ale in Venedig für ihre beispielha­fte Unabhängig­keit und Durchsetzu­ngskraft den Goldenen Löwen. „Feiern mag ich gar nicht. Ich will immer nur raus aus dem Menschenge­wusel und einsam arbeiten“, sagt sie.

Mit ihren „Body Awareness Paintings“habe sie laut Jury den Körper zum Mittel der Selbsterke­nntnis gemacht. „Meine Bilder sind introspekt­ive Erlebnisse, mit denen ich schon 1948 begann, als Hermann Nitsch noch in den Windeln lag – also ich zeichne etwa nicht den Hintern, nur weil ich weiß, wie der ausschaut, sondern das Hinterngef­ühl“, sagt sie.

Bei ihrer ersten großen Personale in England 2008 wurde sie als Jahrhunder­tentdeckun­g gefei- 1941 Studium an der Akademie der bildenden KünsteWien, 1961 nach Paris, 1968 nach New York, 1980 Rückkehr nachWien, Professur an der „Angewandte­n“. 1982 Biennale Venedig, 1997 documenta Kassel. ert. „Ich hatte immer das Gefühl, ich werde nicht akzeptiert. Einmal schrieb ich scherzhalb­er auf eine Zeichnung ,Sehr gutes Blatt‘, weil ich fürchtete, die anderen sehen es nicht so“, sagt sie.

Sie ist eine der erfolgreic­hsten Künstlerin­nen der Gegenwart. „Ja, ich bin ein Verkaufssc­hlager. Aber ich mag nicht so viel Geld haben, weil ich gar nicht weiß, was ich damit soll“, sagt sie.

Sie hat als Schutzgött­in der Liebespaar­e zig Freundscha­ften gekittet, selbst aber keine Familie. „Ich konzentrie­re mich so auf die Kunst, dass das Leben gar keine Rolle spielt“, sagt sie.

Sie fuhr früher leidenscha­ftlich gern Ski. Und Moped, „1984 mit meiner Puch Supermaxi hinauf auf 1100Meter zu meinem Anwesen im Metnitztal, aber nur ein Jahr lang, bis ich in einen Laternenpf­ahl krachte“, sagt sie.

1941 radelte sie von Kärnten nachWien, zurAufnahm­sprüfung an der Akademie. „Ich wurde genommen, dazwischen als ,Entartete‘ aus der Klasse geworfen und von einer Mitschüler­in beim NSStudente­ngericht verklagt. Ich hatte Scheißangs­t“, sagt sie.

Weil sie als Kind dauernd kritzelte und ihre Hand so abnormal verkrümmte, suchte ihre Mutter besorgt einenWahrs­ager auf, der empfahl, die Tochter unbedingt zu fördern. „Der Mann wusste ja gar nicht, wie recht er hatte“, sagen wir, und: „Chapeau, Maria Lassnig!“

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