Ich ihn verletzt habe“
Einen Mordversuch, an den sie sich nicht erinnert, verantwortet eine Ungarin in Graz. Die Geschworenen befinden sie schuldig: zehn Jahre Haft.
Szenen wie aus einem schlechten Film boten sich den Polizisten am 23. September des Vorjahres in Graz auf offener Straße. Eine Frau schrie hysterisch, eine zweite, betrunken, blutüberströmt, redete auf Ungarisch auf sie ein. Minuten zuvor hatte Rozalia F. (42) in einer Wohnung im Streit acht bis zehn Mal mit einem Küchenmesser auf ihren Lebensgefährten eingestochen. Nun versuchte sie, ihre in Panik geflohene Tochter zu beruhigen.
Der Lebensgefährte (64), wie seine Freundin schwererAlkoholiker, konnte durch die Kunst dreier Chirurgen gerettet werden. Ein Stich in die Leber, einer in die Lunge, einer in den Oberschenkel hätten auch einzeln gereicht, um ihn zu töten.
„Wir gehen von einer Tötungsabsicht aus“, sagt Staatsanwalt Hansjörg Bacher, der versuchten Mord angeklagt hat. „Ich erinnere mich nicht“, sagt die Angeklagte dem Vorsitzenden des Geschworenensenates Karl Buchgraber. Erst später habe sie erfahren, was sie getan hat. Angst habe sie gehabt vor ihrem Lebensgefährten, der aggressiv war.
Was passieren kann, wenn man jemandem in den Bauch sticht, wisse sie nicht. „Schmerzen?“– „Sonst nichts?“, fragt der Richter. – „Ich weiß keine Antwort.“Sie erinnert sich an nichts. „Oder wollen Sie sich nicht erinnern? Vielleicht verdrängen Sie es?“– „Ich weiß nicht.“Aufklärung bringt auch das Tatopfer nicht. „Ich will nicht aussagen.“Die Angeklagte bittet ihn um Entschuldigung. „Passt. Schade“, sagt er und schlurft aus dem Saal.
Wie ein Hund
Der Verteidiger berichtet den Geschworenen aus dem Leben dieser Frau: als Kind vomStiefvater missbraucht, nach dem Heim von einem Mann jahrelang „wie ein Hund“in einer Wohnung gehalten und zum Stehlen und Kinderkriegen missbraucht. Nach Österreich entkommen, arbeitete
Oder wollen Sie sich nicht erinnern? Vielleicht verdrängen
es?“Sie
Karl Buchgraber – der Richter hakt bei der Angeklagten nach sie als Prostituierte und lernte ihren Lebensgefährten kennen. Dessen Saufkumpan zerschnitt ihr das Gesicht . . .
Der psychiatrische Gutachter Manfred Walzl bescheinigt ihr eine alkoholbedingte Verhaltensstörung, eine Depression und eine posttraumatische Belastungsstörung – aber Zurechnungsfähigkeit. Sie hatte rund 2,5 PromilleAlkohol im Blut. Bei laufenderVerhandlung wird von der Polizei an Gerichtsmediziner Eduard Leinzinger die Tatwaffe zur Begutachtung nachgeliefert. Am ohnehin tristen Gesamtbild ändert das alles nichts mehr.
Die Geschworenen sprechen Rozalia F. nach langer Beratung mit 7:1 Stimmen des Mordversuchs schuldig. Der Senat verhängt zehn Jahre Haft, die Angeklagte erbittet Bedenkzeit. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.