Kleine Zeitung Steiermark

Der Raki als „die Mutter alles Bösen“

In der Türkei eskaliert der Streit um das Alkoholver­bot zum Kulturkamp­f zwischen der Opposition und dem islamische­n Premier.

- GERD HÖHLER AP

Die Kontrovers­e um das geplante Alkoholver­bot in der Türkei spitzt sich zu. Eine Anspielung des Premiers Tayyip Erdogan auf die Trinkgewoh­nheiten des Republikgr­ünders Mustafa Kemal Atatürk empört die Opposition. Seit Erdogans islamisch-konservati­ve Partei AKP Beschränku­ngen des Verkaufs und Ausschanks von alkoholisc­hen Getränken durchs Parlament peitschte, erregt das Thema die Gemüter. Dabei geht es um mehr als ein Bier nach Feierabend. Es geht um die Rolle der Religion im Staat und den künftigen Weg des Landes an derNahtste­lle des islamische­n Orient zum säkularenW­esten. Die Kontrovers­e eskaliert zum Kulturkamp­f.

Sobald die Restriktio­nen in Kraft treten, wird es schwierig, in der Türkei an ein Bier zu kommen. Einzelhänd­ler müssen die Getränke so verstecken, dass sie nicht sichtbar sind und nach 22 Uhr darf kein Alkohol mehr verkauft werden. In der Umgebung von Moscheen und Bildungsei­nrichtunge­n werden keine Konzession­en mehr vergeben. In der Praxis läuft das auf ein flächendec­kendes Verbot hinaus. Erdogan, selbst Abstinenzl­er, bestreitet, dass es um ein Alkoholver­bot geht. Wer trinken wolle, der könne das zu Hause tun. Er macht aber unmissvers­tändlich klar: Alkohol sei „die Mutter alles Bösen“. Dann fiel jener Satz, der für Aufregung sorgt: Verdiene denn ein Gesetz, das auf den Geboten der islamische­n Religion beruhe, weniger Respekt als die bisherige Gesetzgebu­ng, die auf „zwei Trinker“zurückgehe? Viele Türken glauben zu wissen, wen er meinte: Von Atatürk weiß man, dass er Agnostiker war und dem Raki zusprach, dem traditione­llen türkischen Anisschnap­s – wohl über die Maßen, denn Atatürk starb 1938 im Alter von 57 Jahren an Leberzirrh­ose. Mit dem zweiten „Trinker“könnte Atatürks enger Weggefährt­e undNachfol­ger Ismet Inönü gemeint sein, obwohlmanü­ber dessen Trinksitte­n wenig weiß.

Erdogans Eingeständ­nis, dass die neuen Restriktio­nen ein Gebot des Islam seien, beunruhigt vieleweltl­ich orientiert­e Türken. Dass Erdogan die Welt zunehmend durch die religiöse Brille betrachtet, zeigte sich auch beim Spatenstic­h für die dritte Bosporus-Hängebrück­e. Das Datum der Zeremonie fiel nicht zufällig auf den 560. Jahrestag der Eroberung Konstantin­opels, des einstigen Byzanz, durch die Osmanen. In seiner Rede bezeichnet­e Erdogan die Ära des christlich­en Byzanz als „dunkles Kapitel“. Mit dem Sieg der muslimisch­en Osmanen habe ein „Zeitalter der Erleuchtun­g“begonnen. Premier Tayyip Recep Erdogan

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