Kleine Zeitung Steiermark

Unter einer Scheibe Mond

Matthias Claudius ist der Dichter des Abendlieds „Der Mond ist aufgegange­n“. Der „sympathisc­he Reaktionär“starb heute vor 200 Jahren.

- MICHAEL TSCHIDA BUCHTIPPS

Und ich hab’ den Männern ohn’ Erbarmen nichts getan. / Du im Himmel! hilf mir armen schwarzen Mann!

Matthias Claudius prangerte im Gedicht „Der Schwarze in der Zuckerplan­tage“den Sklavenhan­del an, durch den auch sein wichtigste­r Gönner Heinrich Carl von Schimmelma­nn reich geworden war – aber er war ein strikter Gegner sozialer Reformen. Er trat den Freimaurer­n bei – lehnte aber die Ideen der Französisc­hen Revolution ab. Er gab politische­n Köpfen wie Herder, Lessing, Goethe und Klopstock im fortschrit­tlichen „Wands- Martin Geck. Matthias Claudius. Biographie eines Unzeitgemä­ßen. Siedler Verlag, 320 Seiten, 19,99 Euro. Mich verlangt nach dir. Die schönsten Texte von Matthias Claudius. Hoffmann und Campe, 96 Seiten, 12 Euro. becker Bothen“ein Forum – hing aber selbst strengen religiösen und antiaufklä­rerischen Gedanken nach. Kein Wunder, dass Martin Geck den Lyriker in seiner neuen Biographie einen „Unzeitgemä­ßen“nennt.

Trotz seiner ambivalent­en Weltanscha­uung blieb der Pastorenso­hn, den der Hamburger Claudius-Experte Michael Pommerenin­g als „sympathisc­hen Reaktionär“sieht, bis heute nicht bloß als Autor hübscher Kalendersp­rüche in Erinnerung. Das hat natürlich vor allem damit zu tun, dass er den Deutschen ihr liebstes Volkslied schenkte: „Der Mond ist aufgegange­n“in der Vertonung von Johann Abraham Peter Schulz von 1790 ließ nicht nur „Kinder fromm und fröhlich sein“, sondern inspiriert­e auch Franz Schubert, Carl Orff oder Herbert Grönemeyer zu melancholi­scher Empfindsam­keit.

Claudius war vieles: Theologie- und Jurastuden­t, Privatsekr­etär, Bankreviso­r und Schiffsmel­der, Übersetzer, Redakteur und natürlich Schriftste­ller. Seine Frau Anna schenkte ihm zwölf Kinder, nicht der einzige Grund, weshalb seine finanziell­e Lage (trotz oder wegen eifrigen Lottospiel­s?) so lang prekär war, bis dem 45-Jährigen ein Ehrensold des dänischen Kronprinze­n Friedrich gegönnt war.

Der Dichter des einfachen Volkes, dem die Eitelkeit der Intelligen­zija stets fremd blieb, starb heute vor 200 Jahren in Hamburg, während der selbst ernannte Kaiser Napoleon ganz Europa bedrohte. Vielleicht sah er ja von seinem Krankenbet­t aus noch eine Scheibe Mond: „Verschon uns, Gott! mit Strafen, / und laß uns ruhig schlafen! / Und unsern kranken Nachbar auch!“

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Großer Dichter mit ambivalent­er Weltanscha­uung: Matthias Claudius (1740–1815) lebte die Empfindsam­keit
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