Die doppelte Kunst der Verführung
John Neumeier beweist mit seinen Balletten „Josephs Legende“und „Verklungene Feste“erneut seine Genialität als Choreograf.
Wenige Ballettensembles erfüllen John Neumeiers Voraussetzungen, um seine Version von „Josephs Legende“, komponiert 1914 von Richard Strauss, aufführen zu können. Neben dem tänzerischen Können zählt auch die Qualität des Orchesters. Das Wiener Staatsopernorchester gehört seit der Uraufführung 1977 zu seinen Favoriten, doch der Weggang von Franz Welser-Möst gefährdete die Wiener Premiere der Neufassung von 2008. Gleich vorweg: Ersatzdirigent Mikko Franck löste seine Aufgabe wunderbar und bewies großes Feingefühl für die vielschichtigen Kompositionen von Strauss – ebenso wie das Staatsballett. Für die bisherige Volksoperntänzerin Rebecca Horner, die John Neumeier überraschend als Frau Potiphar besetzte, ist die Partie sicher ein Karrieresprung.
„Party is over“
Im ersten Teil des Abends steht „Verklungene Feste“(1943), ebenfalls von Richard Strauss an. Es ist das leichtere Stück und basiert auf einer Couperin-Tanzsuite, in der eine melancholische „Party is over“-Stimmung vorherrscht. Hier dominieren Pas de deux, großartig choreografiert von Neumeier in einer Mischung aus klassischen und modernen Elementen. Besonders die schwierigen Hebefiguren verblüffen und werden von allen Paaren souverän gemeistert. Herausheben könnte man Irina Tsymbal und Mihail Sosnovschi. Schön auch die changierende Lichtstimmung, die ästhetischen roten Kleider von Akris und das reduzierte Bühnenbild.
Klarheit
In der „Josephs Legende“erinnert nichts mehr an die schwülstige Erstversion. Kevin Haigen (Probenleitung in Wien), Judith Jamison und Karl Musil bleiben als Joseph, Frau Potiphar und der Engel zwar legendär, aber Neumeiers Maxime der Klarheit und Reduktion tat dem Stück sehr gut. Die aktuelle „Legende“ist kühler, weniger biblisch bedeutsam, und sie setzt Potiphars Frau als verwöhnte Gattin eines Oligarchen ins Zentrum, die eine indifferente Sehnsucht verspürt. Sie will Joseph, den sie doch nicht haben kann.
Denys Cherevychko tanzt diesen Joseph ausgezeichnet, gut sind auch Roman Lazik als Potiphar und Kirill Koulaev als Engel. Ganz rund ist die Gesamtchoreografie nicht geworden, was vielleicht an den Änderungen lag, die Neumeier bis zuletzt vornahm.
Grandios getanzt ist das Stück allemal, barfuß von Frau Potiphar, in Spitzenschuhen von ihren weiblichen Festgästen. Der Tanz bewegt sich auf der musikalischen Linie und steht manchmal im Gegensatz zu den schwülstigen Klängen, die gelegentlich an den „Rosenkavalier“erinnern. Josephs Legende/Verklungene Feste. Von Richard Strauss. Wiener Staatsoper. Nächste Termine: 8., 9., 14. Februar ( jeweils 19 Uhr). Karten: Tel. ( 01) 513 1 513
T U M U LT