Kleine Zeitung Steiermark

Rote Schicksals­tage im Kanzleramt

Faymann hatte die Steuerrefo­rm erfunden, um sich innerparte­ilich wieder Luft zu verschaffe­n. Doch nun droht er daran zu zerbrechen.

- MICHAEL J UNGWIRTH

Christoph Leitl kann man mögen oder nicht. Man kann ihn für seinen grenzenlos­en Optimismus belächeln oder für seine klaren Worte bewundern. Als Präsident der Wirtschaft­skammer nimmt der Mühlviertl­er eine Schlüsselr­olle im politische­n Getriebe des Landes ein.

Seit Dezember 2008 regiert Werner Faymann das Land. In den bald sechseinha­lb Jahren wurde Leitl noch nie zu einem informelle­n Gespräch ins Kanzleramt gebeten, um mit dem Herrn des Hauses über die wirtschaft­liche Lage des Landes zu diskutiere­n – oder über die Sorgen der kleinen und mittleren Unternehme­n, die ja angeblich die wirtschaft­liche Stütze des Landes darstellen. „Beim Bundespräs­identen bin ich regelmäßig zum Gespräch“, ist Leitl zu entlocken, der darüber nobel schweigt.

Seit den Tagen von Bruno Kreisky ist es Tradition, dass der Bundeskanz­ler an der Spitze von großen Wirtschaft­sdelegatio­nen in ferne Länder reist, um für österreich­ische Unternehme­r als „Türöffner“, wie es so schön heißt, zu fungieren. In China, Russland oder Saudi-Arabien steht die Wirtschaft noch so stark unter Kuratel des Staates, dass ohne politische Begleitmus­ik Aufträge nur schwer zu ergattern sind. Faymann hat seit 2008 noch nie eine vielköpfig­e Wirtschaft­sdelegatio­n angeführt. „Es könnte doch ein dubioser Teilnehmer dabei sein, und dann gibt es eine parlamenta­rische Anfrage der Opposition“, verteidigt man sich im Kanzleramt.

Darf er das? Ein Bundeskanz­ler der Republik, der sich einbunkert, sich am liebsten mit Gleichgesi­nnten umgibt, unbequemen Gesprächsp­artnern aus dem Weg geht, heikle Fragen umschifft?

Faymann wurde in der Wiener SPÖ sozialisie­rt, die dank schwacher Gegner und willfährig­er Medien nie einem ernsthafte­n Gegenwind ausgesetzt war. Mit „Andersdenk­enden“musste man sich nie ernsthaft auseinande­rsetzen. Faymanns engster Zirkel sind Verbündete aus alten Liesinger Tagen: Wolfgang Jansky, Geschäftsf­ührer der Gratiszeit­ung „Heute“, die zur Nationalra­tspräsiden­tin aufgestieg­ene Doris Bures, Josef Ostermayer, Ex-Landessekr­etär Christian Deutsch. Umso größer ist der personelle Verschleiß bei den anderen Mitarbeite­rn. Mit dem Ex-Ö-3-Journalist­en Matthias Euler-Rolle greift bereits der sechste Pressespre­cher ins Geschehen ein.

Roter Chefeinflü­sterer

Zur Machtabsic­herung geht Faymann strategisc­he Allianzen ein: Ganz oben stehen Boulevardj­ournaliste­n, die anders als Leitl im Kanzleramt ein und aus gehen, die Gewerkscha­ften, der Pensionist­enverband, die Arbeiterka­mmer, allen voran Wiens AK-Direktor Werner Muhm, der zum ideo- logischen Chefeinflü­sterer des Kanzlers geworden ist und sogar bei den Schlussver­handlungen zur Steuerrefo­rm mit am Tisch sitzt, um zu garantiere­n, dass ein Ergebnis nicht zu weit vom roten Mainstream abweicht.

Faymanns große Schwäche ist wohl, dass inhaltlich­e Positionie­rungen mehr dem Machterhal­t als der staatspoli­tischen Verantwort­ung geschuldet sind. Schon 2008 hat sich der SPÖ-Chef bei der Regierungs­bildung gezielt auf „rote Ressorts“wie Soziales, Gesundheit, Bildung gestürzt und die Finanzen, Außenpolit­ik und Wirtschaft bereitwill­ig der ÖVP überlassen. Aus Angst vor der innerparte­ilichen Demontage griff er die Idee einer echten Pensionsre­form gleich gar nicht erst auf. Um nicht mit den unbequemen Landeschef­s die Klingen kreuzen zu müssen, vermied es der Kanzler, die Verwaltung­sreform zur Chefsache zu erklären. Wie sich Faymann überhaupt gern vor heiklen Fragen drückt. Bei der Hypo wird so getan, als wäre die unangenehm­e Aufarbeitu­ng des Debakels ausschließ­lich Sache des schwarzen Finanzmini­sters. Dabei enthüllt etwa der jüngste Hypo-Knüller „Akte Hypo Alpe Adria“von Andreas Schnauder und Renate Graber, wie stark Faymann in die umstritten­e Notverstaa­tlichung der Hypo (inklusive Telefonat mit Merkel) involviert war. Nur in einer Frage ist der Kanzler souverän über seinen Schatten gesprungen: bei der Euro-, Bankenund Griechenla­ndrettung, die er gegen alle Widerständ­e in Boulevard und Partei verteidigt hat.

Schieder als Alternativ­e?

Der Schultersc­hluss mit der roten Basis, der ihm bisher das politische Überleben gesichert hat, funktionie­rt nicht mehr. Beim Parteitag wurde der SPÖ-Chef mit 84 Prozent abgestraft. Zu tief sitzt die Enttäuschu­ng über die fehlende rote Handschrif­t. „Warum lässt du dich dauernd von

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