Rote Schicksalstage im Kanzleramt
Faymann hatte die Steuerreform erfunden, um sich innerparteilich wieder Luft zu verschaffen. Doch nun droht er daran zu zerbrechen.
Christoph Leitl kann man mögen oder nicht. Man kann ihn für seinen grenzenlosen Optimismus belächeln oder für seine klaren Worte bewundern. Als Präsident der Wirtschaftskammer nimmt der Mühlviertler eine Schlüsselrolle im politischen Getriebe des Landes ein.
Seit Dezember 2008 regiert Werner Faymann das Land. In den bald sechseinhalb Jahren wurde Leitl noch nie zu einem informellen Gespräch ins Kanzleramt gebeten, um mit dem Herrn des Hauses über die wirtschaftliche Lage des Landes zu diskutieren – oder über die Sorgen der kleinen und mittleren Unternehmen, die ja angeblich die wirtschaftliche Stütze des Landes darstellen. „Beim Bundespräsidenten bin ich regelmäßig zum Gespräch“, ist Leitl zu entlocken, der darüber nobel schweigt.
Seit den Tagen von Bruno Kreisky ist es Tradition, dass der Bundeskanzler an der Spitze von großen Wirtschaftsdelegationen in ferne Länder reist, um für österreichische Unternehmer als „Türöffner“, wie es so schön heißt, zu fungieren. In China, Russland oder Saudi-Arabien steht die Wirtschaft noch so stark unter Kuratel des Staates, dass ohne politische Begleitmusik Aufträge nur schwer zu ergattern sind. Faymann hat seit 2008 noch nie eine vielköpfige Wirtschaftsdelegation angeführt. „Es könnte doch ein dubioser Teilnehmer dabei sein, und dann gibt es eine parlamentarische Anfrage der Opposition“, verteidigt man sich im Kanzleramt.
Darf er das? Ein Bundeskanzler der Republik, der sich einbunkert, sich am liebsten mit Gleichgesinnten umgibt, unbequemen Gesprächspartnern aus dem Weg geht, heikle Fragen umschifft?
Faymann wurde in der Wiener SPÖ sozialisiert, die dank schwacher Gegner und willfähriger Medien nie einem ernsthaften Gegenwind ausgesetzt war. Mit „Andersdenkenden“musste man sich nie ernsthaft auseinandersetzen. Faymanns engster Zirkel sind Verbündete aus alten Liesinger Tagen: Wolfgang Jansky, Geschäftsführer der Gratiszeitung „Heute“, die zur Nationalratspräsidentin aufgestiegene Doris Bures, Josef Ostermayer, Ex-Landessekretär Christian Deutsch. Umso größer ist der personelle Verschleiß bei den anderen Mitarbeitern. Mit dem Ex-Ö-3-Journalisten Matthias Euler-Rolle greift bereits der sechste Pressesprecher ins Geschehen ein.
Roter Chefeinflüsterer
Zur Machtabsicherung geht Faymann strategische Allianzen ein: Ganz oben stehen Boulevardjournalisten, die anders als Leitl im Kanzleramt ein und aus gehen, die Gewerkschaften, der Pensionistenverband, die Arbeiterkammer, allen voran Wiens AK-Direktor Werner Muhm, der zum ideo- logischen Chefeinflüsterer des Kanzlers geworden ist und sogar bei den Schlussverhandlungen zur Steuerreform mit am Tisch sitzt, um zu garantieren, dass ein Ergebnis nicht zu weit vom roten Mainstream abweicht.
Faymanns große Schwäche ist wohl, dass inhaltliche Positionierungen mehr dem Machterhalt als der staatspolitischen Verantwortung geschuldet sind. Schon 2008 hat sich der SPÖ-Chef bei der Regierungsbildung gezielt auf „rote Ressorts“wie Soziales, Gesundheit, Bildung gestürzt und die Finanzen, Außenpolitik und Wirtschaft bereitwillig der ÖVP überlassen. Aus Angst vor der innerparteilichen Demontage griff er die Idee einer echten Pensionsreform gleich gar nicht erst auf. Um nicht mit den unbequemen Landeschefs die Klingen kreuzen zu müssen, vermied es der Kanzler, die Verwaltungsreform zur Chefsache zu erklären. Wie sich Faymann überhaupt gern vor heiklen Fragen drückt. Bei der Hypo wird so getan, als wäre die unangenehme Aufarbeitung des Debakels ausschließlich Sache des schwarzen Finanzministers. Dabei enthüllt etwa der jüngste Hypo-Knüller „Akte Hypo Alpe Adria“von Andreas Schnauder und Renate Graber, wie stark Faymann in die umstrittene Notverstaatlichung der Hypo (inklusive Telefonat mit Merkel) involviert war. Nur in einer Frage ist der Kanzler souverän über seinen Schatten gesprungen: bei der Euro-, Bankenund Griechenlandrettung, die er gegen alle Widerstände in Boulevard und Partei verteidigt hat.
Schieder als Alternative?
Der Schulterschluss mit der roten Basis, der ihm bisher das politische Überleben gesichert hat, funktioniert nicht mehr. Beim Parteitag wurde der SPÖ-Chef mit 84 Prozent abgestraft. Zu tief sitzt die Enttäuschung über die fehlende rote Handschrift. „Warum lässt du dich dauernd von