Grundsatzentscheidung vertagt
Denken wir einmal kurz zurück: Welches Ziel verfolgte die Regierung denn eigentlich mit der Steuerreform, deren letzte Einzelheiten nun verhandelt werden? Weniger Steuern auf Arbeit und damit eine dynamischere Wirtschaft. Wer diese Messlatte anlegt, wird feststellen: Österreichs Arbeitnehmer werden sich diese Reform zu einem großen Teil selber zahlen müssen. Aber auch wer auf ein dynamischeres Umfeld für Investoren und Unternehmer gehofft hat, wird enttäuscht. Denn die Steuer- und Abgabenquote bleibt fast so hoch wie bisher.
Das Prestigeprojekt der Regierung, von dem diese auch selbst ihre Zukunft abhängig gemacht hat, ist damit kein Aufbruchssignal, sondern eine vertane Chance. Die zwei positiven Aspekte, die niedrigere Lohnsteuer und – recht unkonkrete – Einsparungen beim Staat, können diese Bilanz nicht ändern. Warum? Weil nur ein kleiner Teil der sogenannten Gegenfinanzierung darin besteht, bei problematischen Ausgabenposten den Rotstift anzusetzen.
Eine gute Milliarde Euro soll in der Verwaltung sowie bei Förderungen eingespart werden, optimistisch geschätzte 850 Millionen sollen durch stärkeren Konsum hereinkommen. Kurz: Den größten Anteil an den fünf Milliarden zahlen sich die Bürger in der einen oder anderen Form also selbst: Weil jeder Kinobesuch, jede Übernachtung und manches andere teurer wird. Weil jeder, der nicht nur mit einem Sparbuch vorsorgt, mehr Steuer zahlt. Weil das Dienstauto mehr kostet. Weil die Höchstbeitragsgrundlage für die Sozialversicherung noch stärker angehoben wird, als sie regulär ohnehin steigt.
Nicht zu vergessen: Von der letzten Änderung der Lohnsteuersätze 2009 bis Ende dieses Jahres wird der Bund zusätzlich 11,5 Milliarden Euro an Lohnsteuer eingenommen haben. Nur, weil die Einkommensgrenzen für die Steuersätze nicht an die Inflation angepasst wurden. Dieses Phänomen kennen wir als „kalte Progression“. enig gewagt ist die Prognose, dass die erhofften Ersatzeinnahmen spürbar geringer sein werden als erhofft. Sprich: Vor dem Finanzminister wird sich mittelfristig ein Budgetloch auftun. Und dagegen gibt es in Wahrheit nur zwei probate Gegenmittel: eine Steuererhöhung, die die Österreicher noch stärker belastet. Oder Strukturreformen, die an der Ausgabenseite ansetzen: ein erneuertes, finanziell nachhaltiges Pensionssystem etwa oder eine klare Aufteilung der Verantwortung zwischen Bund und Ländern.
Um es in einem Satz zu sagen: Mit dieser Steuerreform hat die Regierung bloß die Entscheidung vertagt, ob sie die Steuern weiter erhöht oder endlich Reformen anpackt, die diesen Namen auch verdienen. Michael Christl ist Ökonom der Denkfabrik Agenda Austria.
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