„Das Hauptziel ist die Ausbildung“
Einst war der Linzer Gerald Wirth Wiener Sängerknabe. Heute ist er oberster Chef des wohl berühmtesten Chores der Welt.
Haben Sie schon als Sängerknabe daran gedacht, einmal künstlerischer Leiter und gar Präsident im Augarten-Palais zu werden? GERALD WIRTH: Nein, ich tendierte eher zu einer Laufbahn als Opernsänger. Chorleiter schien ein Überübertraumberuf, weil es ja auf der ganzen Welt nicht so viele bedeutende Chöre gibt. Auch meine Eltern dachten nie, dass einer, der vom Land kommt, Chorleiter werden und damit auch noch Geld verdienen kann. Pilot schien dagegen schon realistischer, es gibt ja auch mehr Flugzeuge als berühmte Chöre.
Wie kam es dann aber doch zu dieser Karriere? WIRTH: Es hat sich mehr oder weniger von selbst ergeben. Ich entschloss mich zunächst zu einem Oboe-Studium. Doch eines Tages, mit 21, wurde ich eingeladen, Kapellmeister bei den Wiener Sängerknaben zu werden.
Dennoch: Erst einmal gingen Sie zwischendurch ins Ausland. Die alte Geschichte, dass man zunächst einmal im Ausland etwas erreicht haben muss, um in Wien anerkannt zu werden? WIRTH: Diese These hat auch etwas Sinnvolles. Mir war es schon immer klar, dass meine Ausbildung aus Lehr- und Wanderjahren bestehen sollte. Das passte im positiven Sinn zu meiner Persönlichkeit.
Vor dem Ausland kam noch Salzburg, wo Sie am Landestheater Chordirektor mit Dirigierverpflichtung waren. WIRTH: In dieser Position konnte ich mich intensiv mit Oper beschäftigen, und da damals eine sehr enge Kooperation mit dem Festspielhaus bestand, durfte ich nicht nur am Landestheater, sondern auch dort dirigieren. Das war ein großes Glück. Am besten, habe ich in jener Zeit kapiert, lernt man dieses Handwerk, wenn man Operetten dirigiert.
Warum gerade Operetten? WIRTH: Weil es in diesem Genre so viele Dinge gibt, die nicht festgeschrieben sind. Außerdem hatte ich guten Kontakt mit Solisten, die mir von ihrem Leben und ihren Schwierigkeiten erzählten. Auch das war für meinen Lernprozess wichtig.
1991 übernahmen Sie die Leitung des Calgary Boys Choir, wurden dann musikalischer Leiter der Calgary Civic Symphony und des Vokalensembles Sangita und Associate Conductor des Calgary Symphony Orchestra. WIRTH: Ursprünglich interessierte mich der nordamerikanische Raum nicht. Da erfolgte jedoch der Lockruf aus Calgary: Komm doch einmal rüber, wir zahlen dir Flug und Aufenthalt! Da dachte ich: Na schön, Gratisurlaub in Westkanada, auch nicht schlecht. Es folgten Gespräche, und dabei ergaben sich interessante Möglichkeiten. Dass ich einen Knabenchor organisatorisch und künstlerisch leiten durfte, war der Hauptgrund, dass ich blieb, dann ergab sich auch noch die Chance, mit Canadian Broadcasting einen Erwachsenenchor zu gründen.
Letztendlich kam aber doch der Ruf nach Wien. Wie geschah das? WIRTH: Ich hatte seit jeher guten Kontakt zur damaligen Chefin bei den Sängerknaben, Agnes Rossmann. Sie bat mich einmal um Hilfe bei einer NordamerikaTournee der Sängerknaben und hatte schon vorher angefragt, ob ich nicht zurück nach Wien wollte. Als sie sich schließlich entschloss, ihren Posten zu verlassen, suchte der Vorstand in Wien eine neue Lösung.
Und die war? WIRTH: Sie wollten einen arrivierten und einen jüngeren Chorlei-