Kleine Zeitung Steiermark

„US-Invasion war das Ende unserer Existenz“

Metropolit Sharaf lebt seit der Vertreibun­g in Erbil und hat Mossul für Christen aufgegeben.

- I NTERVIEW: MARTIN GEHLEN

Was ist die Lage der Christen ein Jahr nach der Vertreibun­g aus Mossul durch den IS? NICODEMOS SHARAF: Mehr als 125.000 Christen sind in den Nordirak geflohen. Ihre Lage wird immer kritischer, weil den Familien das Geld ausgeht. Niemand hat anfangs damit gerechnet, dass das Exil länger dauern wird als ein, zwei Monate. Die Mittel unserer Kirche sind sehr begrenzt, denn unser gesamtes Eigentum in Mossul wurde vom IS beschlagna­hmt. Meine Kathedrale ist jetzt eine Moschee, obwohl es dort alle 200 Meter eine Moschee gibt. Diese Leute wollen uns zerbrechen. Sie haben uns alles genommen, selbst unsere Würde. Nur eins können sie nicht, uns unseren Glauben aus dem Herzen reißen.

Haben die Christen noch Hoffnung auf Rückkehr? SHARAF: Die Leute hoffen natürlich, eines Tages zurückzuge­hen. Das aber geht nur, wenn wir internatio­nalen Schutz bekommen. In Mossul vertrauen wir niemandem mehr von unseren früheren Nachbarn. Wir trauen den sunnitisch­en Arabern nicht mehr. Wir trauen der irakischen Armee nicht mehr. Ich stamme aus Mossul, bin dort geboren, ich kenne seine Menschen. Die Mehrheit steckt mit dem IS unter einer Decke. Es gibt keinerlei staatliche Autorität und Rechtssich­erheit. Tut mir leid, das zu sagen: Ich habe Mossul aufgegeben. Ich musste aus Mossul fliehen nur mit meinen Kleidern am Leib. Wenn ich an Mossul denke, wird mir schwarz vor Augen.

Misstrauen Sie jetzt allen Muslimen? SHARAF:

Nein,

natürlich

nicht. Wir misstrauen den Fanatikern, aber diese sind inzwischen die Mehrheit. So weigert sich die Al-Azhar-Lehranstal­t in Kairo, die Anhänger des Islamische­n Staates eindeutig als Häretiker zu verdammen, weil diese – wie sie argumentie­ren - ebenfalls an Allah und Mohammed glauben. Was muss denn noch alles geschehen? Seit 2008 konnte ich mich als Kleriker in Mossul nicht mehr frei auf die Straße bewegen. Ich bin auf dem Hof der Kathedrale in mein Auto gestiegen und bei der Familie, die ich besucht habe, direkt in die Garage gefahren. Wenn ich in Mossul die Polizei angerufen habe, wenn die überhaupt abgenommen hat, haben sie mir gesagt, für Leute wie mich seien sie nicht zuständig. So war unser Leben in den letzten zehn Jahren. Wir haben vielen Muslimen geholfen und für ihre Schulbildu­ng gesorgt. Und über Nacht haben sie sich gegen uns gewendet und uns als Gottesläst­erer verunglimp­ft.

Welche Verantwort­ung hat der Westen für die Tragödie? SHARAF: Mit der US-Invasion hat der Westen großes Unheil in den Irak gebracht, was sich danach mit der Dummheit der hiesigen Leute gemischt hat. Das war das Ende für unsere Existenz als irakische Minderheit­en.

Steht das Christentu­m im Irak vor seinem historisch­en Aus? SHARAF: Hier ist unser Land, unsere Wurzeln, unsere Geschichte. Hier leben wir seit den Urzeiten des Christentu­ms. Wir können das doch nicht alles aufgeben. Ich hoffe immer noch, dass wir die Katastroph­e irgendwie überleben werden.

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Syrisch-orthodoxer Metropolit von Mossul, Nicodemos Daoud Matti Sharaf

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