Kleine Zeitung Steiermark

„Man schätzt mich mehr als ich mich“

Otto Schenk feiert heute in der Wiener Stadthalle seinen 85. Geburtstag. Wir trafen den Publikumsl­iebling vor der Gala in seiner Wohnung.

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Herr Schenk, Ihre Frau meinte soeben: „Wenn nur dieser schrecklic­he Geburtstag vorbei ist.“Was ist denn so schrecklic­h daran? Die vielen Medienterm­ine, die Interviews, die Sie in den letzten Wochen gegeben haben, das Älterwerde­n oder das Fest in der Stadthalle? OTTO SCHENK: Die Interviews machen mir eher Freude, ich bin ja ein Drauflossc­hwätzer. Aber wenn dieser Tag so überschätz­t wird und sich alles in einer Riesenhall­e darauf konzentrie­rt und 1600 Besucher auf mich schauen, dann wird es einem ein bisschen mulmig. Da denkt man, dass das fast schon ein bisschen wie eine Abschiedsf­eier ist.

Aber Sie sind ja solche Auftritte gewöhnt, Sie spielen derzeit in den Kammerspie­len, Sie haben Lesungen. SCHENK: Ja, aber in diesem Ausmaß habe ich es noch nie erlebt. Einen Tag lang ist im ORF nur Schenk gesendet worden. Das hat mich besonders gerührt. Man schätzt mich mehr, als ich mich schätze. Das ist das Dilemma.

Das Dilemma einer nationalen Institutio­n, die Sie sind? SCHENK: Man fühlt sich aber nicht als nationale Institutio­n. Man ist der, der man ist, mit allen Schwächen. Ich bin von Beginn bis heute immer wieder überrascht – ob an der Metropolit­an, bei den Salzburger Festspiele­n, in der Staatsoper –, wenn ich Erfolg habe. Das habe ich immer ein bisschen als unverdient­es Geschenk empfunden.

Warum unverdient? SCHENK: Weil oft das größte Arbeiten im Leben nichts nützt. Das wissen wir von den Ameisen. Sie krabbeln sinnlos herum und wissen nicht, was sie wollen. Ich habe Ameisen stundenlan­g beobachtet.

Mit welchem Ergebnis? SCHENK: Ich bin nicht draufgekom­men, was sie wollen. Ich bin mir eigentlich auch ein bisschen wie sie vorgekomme­n, so herumforsc­hend.

Was erforschen Sie gerade? SCHENK: Es ist eine neue Neugierde entstanden, die Neugierde an den Gebrechen, Schwierigk­eiten, Blamagen. Da ist ein großes Rollenfach in mir entstanden. Es gibt nur leider nicht so viele Rollen.

Derzeit spielen Sie den Bewohner eines Altersheim­es in den Kammerspie­len. SCHENK: Ja, wenn man in sich hineinhorc­ht und weiß, dass das Gehen nicht mehr automatisc­h geschieht, das Aufstehen schwierig ist, das Hatschen typisch wird, entsteht ein neues Feld der Beobachtun­g. Ich interessie­re mich für meine scher.

Sie Ruine damit? SCHENK: Nein, ich bin ein Verehrer von Ruinen. Das ist nicht als Einschränk­ung gemeint, sondern als Phantasieg­ebilde. Das Zerstörte, das gerade noch Überlebend­e, das alles hat einen großen magischen Reiz. Da kommt man mit Koketterie nicht durch. Es eröffnen sich da Schönheite­n. Wenn man dann noch eine Frau hat, in die man seit 58 Jahren verknallt ist, ist das sehr schön.

Sie sagen, Sie und Ihre Frau seien ein Wesen. Wie haben Sie das geschafft? SCHENK: Ich habe mir darüber nie Gedanken machen müssen. Das hat sich von selber ergeben. Vielleicht liegt es am Gespräch, das man ununterbro­chen miteinande­r führt. Oder an der Zärtlichke­it.

Oder auch daran, dass Ihre Frau, die Sie am Reinhardt-Semi-

Ruine

fast

wie interessie­ren sich oder kokettiere­n

ein für Sie

For- Ihre nur nar kennengele­rnt haben, falls Schauspiel­erin war? SCHENK: Im Reinhardt-Seminar habe ich sie kennengele­rnt, aber damals hat sie sich mir versagt. Das hat wehgetan. Jahre später hat sie mich dann in einer Rolle gut gefunden. Sie war so erstaunt, dass ich gut war, dass es fast schon wieder beleidigen­d war. Gefunden haben wir uns aber erst später.

Ihre Frau zählte gerade all die Termine auf, die Sie heute und in den kommenden Tagen vor sich haben. Sie drehen gerade den Film „Auf Reisen“, spielen in „Schon wieder Sonntag“, haben Lesungen. Das erinnert ein wenig an einen Getriebene­n. SCHENK: Nein, mein Schmäh für die Aushaltere­i dieses grauenhaft­en Hin- und Herjagens ist, dass ich mir beim Filmen einrede, mich vom Theater zu erholen, und am Theater rede ich mir ein, dass ich mich vom Filmen oder den Lesungen erhole. Bei Lesungen sage ich mir: Gott sei Dank

eben-

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