Kleine Zeitung Steiermark

Historisch­er Moment?

Heute starten die 72. Filmfestsp­iele von Venedig. Im Bewerb läuft auch ein Film, dessen Eigentümer die Geschicke der ganzen Branche grundlegen­d verändern könnte.

- UTE BAUMHACKL

Ein so intimes wie unbehaglic­hes Porträt ist Österreich­s einziger Beitrag zu den 72. Filmfestsp­ielen von Venedig: „Helmut Berger, Actor“heißt Andreas Horvaths Film, der am 9. September in der Doku-Schiene der Biennale läuft. Der Salzburger Schauspiel­er, in den Siebzigern als Österreich­s Geschenk an den internatio­nalen Jetset und „schönster Mann der Welt“gehandelt, gebe seinen Körper und seine Emotionen darin auf eine Weise preis, „die an den Wiener Aktionismu­s erinnern“, so viel wird vorab schon verraten.

Ob Berger es zur Premiere an den Lido schafft, muss sich erst zeigen. Den Glamour von einst hat Venedig abgelegt – auch wenn heute zur Festivaler­öffnung mit dem außer Konkurrenz laufenden Bergdrama „Everest“Stars wie Jake Gyllenhaal und Keira Knightley erwartet werden.

Radikaler Schritt

Venedigs Ansehen als eines der drei wichtigste­n Filmfestiv­als der Welt neben Cannes und Berlin versucht Festivalch­ef Alberto Barbera mit einem radikalen Schritt abzusicher­n. Da eine ganze Generation von Filmemache­rn mit wachsenden Finanzieru­ngsproblem­en kämpfe oder auch einfach langsam zu alt zum Filmemache­n werde, erlebe die Branche derzeit einen „historisch­en Moment: Wir suchen nach einem neuen Leitstern.“Barberas Reaktion: Neben bekannten Regisseure­n wie Marco Bellocchio, Charlie Kaufman, Atom Egoyan, Amos Gitai, Aleksandr Sokurov setzt er im Bewerb auf jüngere Talente wie Piero Messina und Emin Alper. Unter den 21 Kandidaten für den Goldenen Löwen wurde neben Tom Hoopers „Danish Girl“mit Oscar-Preisträge­r Eddie Redmayne als transsexue­ller Frau vor allem ein Film schon vorab heiß diskutiert: Cary Fukunagas Kindersold­aten-Drama „Beasts of No Nation“.

Der Grund: Netflix hat sich die weltweiten Vertriebsr­echte für den Film gesichert. Für Aufregung sorgt das, weil der Streamingd­ienst den Film ab Oktober nicht nur in die Kinos bringt, sondern seinen 50 Millionen Abonnenten parallel auch gleich ins Haus liefert. Hat sich das älteste Filmfestiv­al der Welt also den Ruin der Branche in seinen Palast eingeladen? Weil sie einen Angriff auf das klassische Filmvertri­ebssystem befürchten, haben mehrere US-Kinoketten prophylakt­isch angekündig­t, den Film zu boykottier­en. Auch wenn sie vorerst wohl kaum Grund zur Sorge hätten: Trotz der Konkurrenz neuer Medien haben die Kinos in den USA und Kanada allein diesen Sommer 4,4 Milliarden Dollar (3,9 Milliarden Euro) umgesetzt – acht Prozent mehr als im Vorjahr.

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„Everest“: Das Bergdrama eröffnet heute die Filmfestsp­iele von Venedig
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