„Es nützt nichts, Ungarn zum Sündenbock zu machen“
Der ungarische Botschafter János Perényi über den Grenzzaun, Flüchtlingsströme und den Streit um Quoten.
Im Umgang mit der Flüchtlingskrise erntet Ungarn derzeit viel Kritik. Österreich warf Ungarn zuletzt mangelnde Kooperation vor, mahnte zur Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention. Bundeskanzler Faymann lud Sie gar zu einem Gespräch vor. Wie geht es Ihnen damit? JÁNOS PERÉNYI: Das Gespräch mit dem Herrn Bundeskanzler war sehr freundlich, sachlich und konstruktiv. Abgesehen von gewissen polemischen Aussagen sind die Beziehungen zwischen beiden Ländern sehr gut.
Die Stimmung in Ungarn gegenüber Flüchtlingen wird als zunehmend aufgeheizt erlebt. Da gibt es eine Kamerafrau, die einem Flüchtlingskind einen Tritt versetzt, und einen Bischof, der den Papst für seinen Appell zu mehr Solidarität kritisiert. PERÉNYI: Fangen wir mit dieser Kamerafrau an. Idioten, entschuldigen Sie, dass ich das sage, gibt es überall. Aussagen eines Bischofs zu kommentieren, steht mir nicht zu, weil in Ungarn eine Trennung zwischen Staat und Kirche besteht. Ich habe allerdings gelesen, dass er der Linie des Heiligen Vaters folgt. Was die aufgeheizte Stimmung betrifft: Ungarn hat heuer bereits über 170.000 Flüchtlinge ins Land gelassen, davon haben 150.000 einen Asylantrag gestellt. Sie müssen sich diesen ungeheuren Druck vorstellen, unter dem Ungarn steht. Wir sind manchmal einfach überfordert. Wir sind hier nicht die Täter, sondern Opfer einer sehr inkonsequenten Politik der Europäischen Union. Wir versuchen, die Außengrenzen der EU zu schützen. Es nützt nichts, Ungarn zum Sündenbock zu machen. Dazu kommt: Wenn falsche Signale gesendet werden, erfahren in Zeiten des Internets rasch alle Menschen in den Flüchtlingslagern, dass sie sich Richtung Europa bewegen können.
Sie meinen die später relativierte Aussage der deutschen Kanzlerin, das Dublin-Abkommen für Syrien-Flüchtlinge auszusetzen. PERÉNYI: Manche Aussagen europäischer Politiker haben eine Sogkraftwirkung.
Man wirft der Regierung Orbán vor, mit ihrer Anti-AusländerKampagne die negative Stimmung mit anzuheizen, um innenpolitisch daraus Kapital zu schlagen. PERÉNYI: Aufgeheizt wird die Stimmung sicher nicht durch die ungarische Regierung, sondern durch die Medien und gewisse Aussagen von Politikern, die diese Menschenmassen dazu bringen, über unsere Grenzen zu kommen.
Plakate, auf denen Flüchtlinge auf Ungarisch informiert werden, sie dürften niemandem die Arbeit wegnehmen, vermitteln aber einen anderen Eindruck. PERÉNYI: Das sind Signale in Richtung der Schlepper. Man darf nicht vergessen, dass hinter diesem Drama ein Riesengeschäft krimineller Organisationen steckt.
In Österreich wundern sich viele über die Härte Ungarns gegenüber Flüchtlingen, obwohl auch viele Ungarn 1956 die Erfahrung von Flucht und Aufnahme machten. PERÉNYI: Ich sehe keine Härte. Die Genfer Konvention sagt aus, dass die Flüchtlinge mit den Behörden zusammenarbeiten müssen. Manchmal kommt es zu Situationen, in denen sich manche Flüchtlinge auch aggressiv verhalten. Die Behörden sind dann verpflichtet, die Ordnung aufrechtzuerhalten.
Den Stacheldrahtzaun, den manche als neuen Eisernen Vorhang bezeichnen, erleben Sie nicht als Härte? PERÉNYI: Jeder Vergleich mit dem Eisernen Vorhang ist absurd. Dieser diente dazu, Millionen von Menschen einzusperren und von der freien Welt fernzuhalten. Die jetzige Einrichtung dient dazu, die Menschenmenge in geordneter Weise zu den Grenzübergängen zu lenken, damit man das Asylverfahren durchführen kann.
EU-Kommissionschef Juncker hat erneut verpflichtende Quoten zur Verteilung der Flüchtlinge vorgeschlagen. Wird Ungarn dem zustimmen? PERÉNYI: Wir sind nicht prinzipiell gegen Quoten. Aber wir glauben, dass wir zuerst unsere Außengrenzen schützen müssen. Wenn man sich beispielsweise Österreich anschaut, sieht man, dass es fast unmöglich ist, Quoten aufrechtzuerhalten.