Ohne Grenzen herrscht das Chaos
Wer eine Zahl nennt, hat schon verloren. Er gilt als ausländerfeindlicher Rechtspopulist. Menschenrechte, heißt es, gelten absolut und könnten nicht durch eine Obergrenze willkürlich beschnitten werden. Wie sei auch zu begründen, dass 100.000 Flüchtlingen Asyl gewährt wird, dem 100.001sten der Schutz jedoch verweigert werden soll?
Dieser Argumentation kann man in ihrer abstrakten Formulierung auch nicht widersprechen. In der konkreten Wirklichkeit stellt sich die Frage allerdings anders: Gibt es nicht doch faktische Grenzen für die Aufnahmebereitschaft und die Leistungsfähigkeit eines Landes?
Kann Österreich nach den 100.000 Asylwerbern des vergangenen Jahres heuer wieder für 100.000 Flüchtlinge Unterkünfte auftreiben und die Neuankömmlinge nicht nur ernähren, sondern auch in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt eingliedern? Und geht das mit dem Zustrom von 100.000 dann im nächsten und übernächsten Jahr so weiter?
Die Österreicher erwarten von ihrer Regierung eine klare Antwort. Sie wurden schon zu lange mit der Floskel abgespeist, dass Menschenrechte universell gelten und nicht verhandelbar seien. Das setzt allerdings voraus, dass es sich bei den Asylsuchenden wirklich allesamt um Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention handelt. Da unsere Grenzen offen wie ein Scheunentor waren und Kontrollen – wenn überhaupt – bloß stichprobenartig erfolgten, wird erst nach quälend langen Verfahren feststehen, wie vielen tatsächlich ein Asylstatus zuerkannt wird. Bleiben werden trotzdem fast alle, weil auch nach einem negativen Bescheid nur ein paar Tausend Österreich wieder freiwillig verlassen bzw. zwangsweise abschoben werden. o kann es jedenfalls nicht weitergehen. Es stimmt natürlich, dass ein Land allein das Problem nicht lösen kann. Aber bloß abzuwarten, bis die EU den Flüchtlingsstrom stoppt, ist zu wenig. Wie lange dauert es noch, bis die geplante neue Einsatztruppe an den Außengrenzen einsatzbereit ist? Warum funktionieren die Hotspots auf den griechischen Inseln nicht? Wann wird die Türkei ihre Zusage erfüllen, die Überfahrt von Schlepperbooten zu verhindern?
Und wie ist es um die Solidarität unter den 28 Mitgliedern der EU bestellt, wenn sie fixe Quoten aufnehmen sollen? Im September wurde von der EU beschlossen, 160.000 Flüchtlinge umzuverteilen. Bisher wurden lediglich 272 in andere Länder verbracht. So schaut die Realität aus.
Die idealistische Gesinnung des „Wir schaffen das!“stößt an die Grenzen des Machbaren, wenn es nicht bald gelingt, den Flüchtlingsstrom einzudämmen. Ohne Begrenzungen droht das Chaos.
SErwin Zankel
war Chefredakteur der Kleinen Zeitung