ZUR PERSON
ein verwirrendes Szenario, das aber noch immer aufgelöst werden kann.
Hätte man sich da nicht früher informieren können? GEISTLINGER: Man hat sich auf Deutschland verlassen und über die eigene Verpflichtung, die ankommenden Personen zu kontrollieren, hinweggesehen. Ungarn wurde damals heftig kritisiert. Doch man muss sagen, dass sie als Einzige erkannt haben, dass der Großteil dieser Menschen kein Recht auf Asyl hat. Und somit haben sie die Lage rechtlich korrekt eingeschätzt.
Wie stehen Sie zur Obergrenze? GEISTLINGER: Die Festlegung einer bestimmten Zahl kann keine Lösung sein. Eine Lösung muss die Türkei involvieren. Wir müssen fragen: Was braucht ihr, damit ihr die Leute überprüfen und die Grenze sichern könnt? Natürlich bringt das Kosten mit sich, doch diese werden weit niedriger sein als jene für Integration, Verpflegung und für eine spätere Rückführung.
Mit „wir“meinen Sie die Europäische Union? GEISTLINGER: Es ist immer schön, zu sagen, dass die Dinge nicht Michael Geistlinger, geboren am 19. 6. 1956 in Radstadt, Studium der Rechtswissenschaften und Slawistik/Romanistik in Salzburg. Habilitation für die Fächer Völkerrecht, Rechtsvergleichung auf dem Gebiet des Verfassungs- und Verwaltungsrechts sowie Ostrecht. Professur für Völkerrecht an der Uni Salzburg. Forschungsschwerpunkte: Völkerrechtsdogmatik, Staatennachfolge, Völkerrecht, Landesrecht, Minderheitenrecht, vergleichendes Verfassungs- und Verwaltungsrecht. funktionieren, weil eine Einigung auf EU-Ebene fehlt. Wir sind immer noch ein eigenes Land mit eigenem Außenministerium, das geschickt verhandeln kann oder können sollte.
Alleingänge einzelner Länder werden in der EU nicht gern gesehen. GEISTLINGER: Ich sehe hier keinen Alleingang. Wir setzen die Genfer Konvention um, versuchen aber auch, den sozialen Frieden im Land aufrechtzuerhalten. Das bedeutet nur, dass man das Heft in die Hand nimmt und nicht einfach nur Trittbrettfahrer ist.
Dennoch wird eine europäische Lösung diskutiert: Hotspots an den EU-Außengrenzen. GEISTLINGER: Das würde bedeuten, dass wir die gesamten EU-Küsten sichern müssten. Sonst würde sich die Route einfach verlagern. Das halte ich für eine nur schwer zu erreichende und vor allem teure Lösung.
In der Zwischenzeit will man in Österreich möglichst früh mit der Integration beginnen. Halten Sie das für den richtigen Weg? GEISTLINGER: Solche Integrationsmaßnahmen sind laut Konvention nur für jene vorgesehen, die auch wirklich Flüchtlinge sind. Alles andere liegt im Ermessen des Staates. Es ist auch aus menschenrechtlicher Sicht nicht fair, Vertriebene zu integrieren und Versprechungen zu machen, die man mit zeitlich begrenztem Aufenthaltsrecht nicht halten kann. Weit wichtiger wäre es, die Leute darauf vorzubereiten, Syrien wieder aufzubauen.
Wie soll das gehen? GEISTLINGER: Sehen Sie sich das große Lager in Jordanien an. Dort gibt es ein „Mini-Syrien“, wo die Dinge so laufen, wie sie in Syrien waren. Doch Jordanien hat nicht genug Geld, um solche Strukturen instand halten zu können. Dabei wäre das der ideale Zugang. Man verliert keine Zeit, die Kinder bekommen weiterhin eine Ausbildung. Und wenn der Tag kommt, an dem es in Syrien wieder Frieden gibt, können die Menschen über Nacht in ihre Heimat zurückkehren. Österreich könnte mit Jordanien verhandeln, dass ein solches Lager von uns finanziert wird. Das würde unser Land deutlich weniger kosten und den Betroffenen auch viel mehr bringen.