Der einseitige Rechtsstaat
So inbrünstig wurde noch selten der Rechtsstaat beschworen wie anlässlich des mühselig erzielten Kompromisses über die Eindämmung des Flüchtlingsstroms. Ohne abzuwarten, ob die als Richtwert bezeichnete Obergrenze auch tatsächlich eingehalten werden kann, war vielen bereits klar, dass man einem Trugbild nachläuft. Solche Grenzen seien in der Genfer Flüchtlingskonvention gar nicht vorgesehen. Humanität kenne kein Limit.
Das bedeutet in der Praxis, dass die Last des Rechtsstaats sehr einseitig verteilt ist. Österreich muss jeden aufnehmen, der an seiner Grenze ankommt und um Asyl ansucht. Bis über den Antrag rechtskräftig entschieden ist, hat der Staat in der Erstversorgung für Unterkunft und Verpflegung zu sorgen. Einen Flüchtling einfach abzuweisen oder seinen Antrag unbearbeitet liegen zu lassen, ist unzulässig.
Ein Asylverfahren dauert mehrere Monate, selbst in Fällen, in denen von vornherein anzunehmen ist, dass sie rasch positiv erledigt werden könnten, weil die Schutzsuchenden vor dem Krieg geflohen sind, oder auch negativ enden, weil die Asylwerber aus einem sicheren Land stammen.
Wird gegen die Ablehnung durch die Behörde beim Verwaltungsgericht Berufung eingelegt, wozu Hilfsorganisationen Anwälte beistellen, heißt es weiter warten. Oft viele Monate und Jahre.
Wer Asyl erhält oder wem subsidiärer Schutz zugesprochen wird, bleibt in der Obhut des Staates. Sollte er keine Beschäftigung finden, aber beim Arbeitsamt gemeldet sein, hat er wie ein Inländer Anspruch auf Mindestsicherung.
Wird Asyl verweigert, müsste der Immigrant Österreich verlassen. Das geschieht aber sehr selten. Im Vorjahr strömten 90.000 Asylsuchende nach Österreich, 7500 haben das Land wieder verlassen; meist freiwillig, zwangsweise wurden nur 1750 abgeschoben. Rückführungen in die Herkunftsländer scheitern, weil diese ihre Staatsbürger nicht zurücknehmen. Oder weil sich nicht feststellen lässt, woher die Asylwerber stammen.
Alle haben auf der Flucht zwar ihr Handy gerettet, ihre Pässe aber verloren. Vielleicht haben sie die Dokumente weggeworfen oder vermieden, dass sie auf der Balkanroute registriert wurden, damit sie später nicht zurückgeschickt werden können. ieses Leck im Rechtsstaat wird achselzuckend zur Kenntnis genommen. Das funktionslose Schubhaftzentrum in Vordernberg ist ein Symbol des Scheiterns.
Wenn sich manche schon klammheimlich darauf freuen, dass die Innenministerin und der Heeresminister die Obergrenze bzw. den Richtwert verfehlen, sollten sie nachdenken, wie dann die Stimmung in der Bevölkerung sein wird. Willkommenskultur war einmal. Erwin Zankel war Chefredakteur der Kleinen Zeitung
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