Schritt für Schritt zur Untauglichkeit
Immer weniger Stellungspflichtige, immer mehr Untaugliche, immer mehr Zivildiener und immer weniger Grundwehrdiener. Trotz „Attraktivierung“blutet das Heer aus. Nummer 44 war bei der Stellung.
Für Ferdinand Fürst (17), Gymnasiast aus Graz, 26 andere Burschen und einen Redakteur beginnt das Morgengrauen an diesem Dienstag in der Belgierkaserne mit dem Stellungstermin in Graz. Den Schlaf noch in den Augen sitzen sie da und hören erste Anweisungen. Minuten später ist jeder eine Nummer. Der Redakteur steht als „44“auf dem medizinischen Prüfstand der Stellungsstraße.
5605 junge Männer mussten sich 2015 hier mustern lassen. Heuer ist der Geburtsjahrgang 1998 dran. Ferdinand Fürst (17) steigt die Stufen hinauf in einen Schlafsaal mit zehn Stockbetten, fasst schwarze Schlapfen, eine schwarze Sporthose und das weiße T-Shirt mit dem Heeresslogan „Schutz und Hilfe“aus. Dennoch wird er in der Republik dafür wohl nicht stramm geradestehen. „Wenn ich tauglich bin, geh ich zum Zivildienst, aber das wird eh nichts. Ich habe Probleme mit Allergien.“
Allergie ist keine Garantie
Das hört man oft in der Stellungskommission. Das Best-of: Hausstaub, Laktose, Fructose, Lebensmittel, Insektenstiche, Pollen. Aber, was vor 25 Jahren noch eine Garantie auf Untauglichkeit war, greift heute längst nicht mehr immer, sagt Oberst Reinhard Tatzgern, Leiter der Stellungskommission: „Eine Lebensmittelallergie reicht nicht mehr.“„Gulaschkanonen“werden jetzt auch mit Allergikerkost geladen.
„Die erste Reihe steht auf und geht zum Blutspenden“, tönt kurz später der erste „Befehl“durch die Eingangshalle, wo uns 28 in unserer Turn-Uniform kühle Zugluft um die Wadeln weht. Kasernenton? Fehlanzeige! Das war einmal – als Nummer 44 vor 27 Jahren das erste Mal hier war.
2016 ist anders. Seit den 1990ern gibt es keine Kommission mehr, die das Gewissen prüft, bevor man als Zivi Rollstühle schieben darf, statt Dienst an der Waffe zu tun. Seither gehen immer weniger zum Heer. Deshalb gibt es ja auch den ministeriellen Auftrag, den Wehrdienst attraktiver zu machen. Weil die jungen Leute dem Heer ja nicht gerade die Kasernentüren einrennen. Sporthose, Schlapfen, T-Shirt dürfen die Burschen morgen mitnehmen. Die erste umgesetzte „Attraktivierungsmaßnahme“.
Das Image heben, wenn man Ausrüstung und Truppe kaputtspart? „Das kann nicht gelingen“, klagen Offiziere hinter vorgehal- tener Hand. Früher war alles besser. Das ist beim „heruntergefahrenen“Österreichischen Bundesheer keine leere Floskel, meinen hier viele uniform.
Nummer 44 sitzt mit den anderen beim Psychotest vor dem Computer-Monitor: Es ist 9.30 Uhr. Bis 11.30 Uhr haben die 17Jährigen vor ihnen gefühlt je 15 Fragenvariationen beantwortet, ob sie Problemen aus dem Weg gehen, schon einmal an Selbstmord gedacht haben, ob sie Alkohol trinken. Wie oft, wie viel. Fast möchte man meinen, hier geht es um den „Dienst an der Flasche“.