„Wir kämpfen Gewicht“ nicht mehr gegen das
Gedanken ans Essen haben ihr Leben beherrscht, erst bei den Anonymen Esssüchtigen lernten sie, damit umzugehen. Zwei Betroffene erzählen von ihrer Sucht.
Doch, es gab eine Zeit, in der Elsa nicht dick war: „Mit sechs Jahren war ich so dünn, dass ich kaum die Schultasche tragen konnte“, erinnert sich die erwachsene Mittfünfzigerin heute. Doch mit 14 Jahren wog sie bei der Schuluntersuchung schon fast 100 Kilo, nach einer frühen Schwangerschaft sagte ihre Ärztin, sie würde bald eine Niere verlieren, wenn sie so weitermachen würde. „Ab dem Alter von 15 Jahren habe ich immer gekämpft“, sagt Elsa – gekämpft gegen das Gewicht. Verschiedenste Diätprogramme, Pülverchen, Akupunktur: „Das Gewicht ging immer rauf und runter“, sagt Elsa. Gewinner waren aber immer die Kilos – und die Lust aufs Essen. Zu oft, zu viel, zu spät, zu süß: So hat Elsa gegessen, bis sie an ihre persönliche Grenze stieß: 132 Kilo. In einer Bezirkszeitung fand sie eine Anzeige: Treffen der Anonymen Esssüchtigen, mit einer Freundin ging sie hin. „Das war meine Lebensrettung“, sagt Elsa und schaut mit einem Lächeln zu Josefine. aufhört zu trinken, verzichtet er völlig auf Alkohol. „Wir Esssüchtigen können aber nicht völlig aufs Essen verzichten“, sagt Josefine. Daher findet jeder für sich eine sogenannte Abstinenz: Für Elsa heißt das, dass das Mittagessen ihre letzte Mahlzeit ist. „Ich habe nicht das Gefühl, dass ich auf etwas verzichte“, sagt sie. Trotzdem hat sie in den letzten zwei Jahren 30 Kilo abgenommen. „Bei OA geht es nicht ums Gewicht“, sagt Josefine. „Wir empfehlen keine Diäten, zählen keine Kalorien.“Denn eine Diät sagt: Mit mir stimmt etwas nicht. „Das Selbstwertgefühl ist bei allen OAs am Boden“, sagt Josefine. Die Veränderung sei eine innere: die Sucht nach dem Essen als solche anerkennen und seiner Abstinenz treu bleiben, mit dem Vertrauen in eine größere Hilfe. „Ja, es ist ein spirituelles Programm“, sagt Josefine und weiß, dass das für viele abschreckend ist.
Ihre eigene Geschichte beschreibt Josefine völlig ungeschönt: „Ich esse und kotze, seit ich 24 Jahre alt bin“, sagt die heute 66-Jährige. Sie konnte nicht aufhören zu essen, aber wollte nicht dick werden: Zuerst stahl sie die Abführmittel ihrer Mutter, später entdeckte sie das Erbrechen. „Ich konnte an nichts anderes denken, morgens bis abends.“Dass sie ein Problem hatte, merkte sie erst viel später – und ging zu den OAs, seit 1988 ist sie dabei.
„Die Sucht ist wie ein Männchen, das auf meiner Schulter sitzt“, sagt Josefine. „Wenn ich Probleme habe, flüstert es: Du weißt doch, was du tun musst. Und dann möchte ich Essen in mich hineinstopfen und erbrechen.“Diese Momente gebe es immer wieder – dann geht Josefine in ein Meeting. Dort spricht jeder über sich, bekommt eine Plattform ohne Wertung. Gemeinsam werden Texte gelesen, erfahrene OAs helfen Neulingen.
Die Gruppe habe etwas mit ihr gemacht, sagt Elsa. Sie könne nicht sagen, was. Aber als sie nach dem ersten Treffen nach Hause kam, sei sie nicht wie sonst zum Kühlschrank gegangen. „Es hat klick gemacht“, sagt Elsa.