Hopfen und Balz
Was bleibt von der Kulturhauptstadt? Ein Streifzug durchs tschechische Pilsen, wo nicht nur die Kreativität schäumt, sondern auch der Gerstensaft – sogar in der Badewanne.
Im Bier baden, auch äußerlich: Was für den einen oder anderen beständigen Krügerlstemmer vielleicht Lebensziel ist, kann man im tschechischen ernice bei Pilsen ganz einfach als Wellnessbehandlung buchen. In der dunklen Wanne aus Lärchenholz dampft und duftet der Biersud, bestehend aus Hopfen oder Bierhefe, vor sich hin. Und daneben steht ein Tischchen mit Zapfhahn – und ein frisch gezapftes trübes Urquell. So taucht man am besten in die Wohlfühlzone Westböhmen ein. Übrigens: Im Preis pro Bierkur (30 Minuten) inkludiert ist das gesamte Fass. Wie überhaupt in der gesamten Bierspa-Zone Fässer stehen. lasch oder Rindsbraten mit Knödeln (Karlsbader Knödel, Semmel- oder Rosinenknödel) gegessen hat und dabei zuschaut, wie die Krügerl über den Tresen wandern und die Kellner mit Gästen anbandeln, dem muss man den Begriff Bierkultur nicht erklären.
Im Vorjahr wurde Pilsen, die mit knapp 170.000 Einwohnern viertgrößte Stadt in Tschechien, von Touristen überrannt. In den ersten neun Monaten steigerten sich die Übernachtungen um 13 Prozent. Durfte sich die Bierregion 2015 neben Mons doch den Titel „Europäische Kulturhauptstadt“umhängen. Es ist davon auszugehen, dass der eine oder andere Kulturbesucher auch das berühmte untergärige Bier, das Pils, ausgiebig verkostet hat.
Die Kulturtitel sind mittlerweile weitergereicht worden, viele Initiativen, Stätten und Aktionen sind noch immer da. Eines der Highlights sind acht Adressen rund um die Klatovská-TrˇídaStraße, rare Kunstschätze, an denen Adolf Loos für reiche jüdische Investoren das Interieur gestaltet hat. Die Wohnungen oder Räume sind in den letzten Jahren liebevoll restauriert worden. Der österreichischeCˇ Architekt lebte sogar zwei Mal in Pilsen (1907 bis 1910; 1927 bis 1932). Wer die Wohnungen – drei sind zugänglich – betritt, entert eine komplett andere Zeit: dunkelgrüner Marmor, ausgetüftelte Schranksysteme, hübsche Wandverkleidungen. Wohlfühlzonen für Loos-Fans und Inspiration für viele Architekturstudenten. Außergewöhnlich: Es gibt Literaturabende inmitten des Loos-Interieurs.
Was ebenso bleibt, ist das alternative Kulturzentrum Depo2015 auf dem Areal der ehemaligen
koda-Werke. Auf dem Vorplatz rosten noch ein ganzes Jahr weiter die riesigen Metallskulpturen von estmír Susˇka vor sich hin. Drinnen läuft ab Februar die Schau „Ins Kino“. Ein Street Food Market hat sich auch schon angekündigt. Eine Prognose: Es wird dabei wohl Bier gezapft werden.
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Pils von außen und innen: Im Biersud baden (links) oder die Brauerei besuchen (rechts)
Alternatives Kulturzentrum:
Depo