Kleine Zeitung Steiermark

Angela Merkels Schicksals­gipfel

Wie in Europa die Grenzen neu geschriebe­n werden.

- ST E FA N W I N K L E R

Vor dem großen Flüchtling­sgipfel ab Donnerstag in Brüssel findet sich Angela Merkel mit ihrer Politik des Willkommen­s in Europa so einsam wie nie.

Nicht nur die Osteuropäe­r machen gegen die Pläne der deutschen Kanzlerin zur Verteilung von Flüchtling­en in der EU mobil. Nun ist sogar Frankreich auf Distanz zu Merkels Idee gegangen, mit der Türkei Flüchtling­skontingen­te auszuhande­ln. Die Tür ist zu, lautet die Botschaft auch aus Paris.

Von allen Rückschläg­en dürfte die Kanzlerin diese untersagte Hilfeleist­ung am meisten schmerzen. Frankreich und Deutschlan­d sehen sich als unersetzli­chen Motor der EU und haben das die anderen Länder in der europäisch­en Krise auch spüren lassen. Im Alleingang verhandelt­en Merkel und der französisc­he Präsident Hollande mit dem störrische­n Griechenpr­emier Tsipras über ein drittes Rettungspa­ket, im Alleingang brachten sie mit Kremlchef Putin in Minsk einen Friedenspl­an für die Ukrai- ne auf den Weg. In einer Union, in der es offiziell nur Gleichrang­ige gibt, hat das für gehörigen Unmut gesorgt, der sich nun offen Luft verschafft.

Merkels Autoritäts­verlust in der EU ist dramatisch. Noch vor einem halben Jahr als Kutscherin Europas gefeiert, muss sie bei ihren europäisch­en Partnern um Gehör betteln. Natürlich trägt die Kanzlerin nicht die alleinige Schuld an den Menschenst­römen. Den Krieg in Syrien hat sie nicht vom Zaun gebrochen. Ihr verhängnis­vollster Fehler war es, mit ihrem „Wir schaffen das“nicht nur Deutschlan­d, sondern gleich ganz Europa in Geiselhaft genommen zu haben.

Gelingt es Merkel noch einmal, die Europäer in Brüssel zum Minimalkon­sens zu bewe- gen? Die Zeichen dafür stehen schlecht. Scheitert die Kanzlerin, wird das aber Deutschlan­ds ohnehin ramponiert­e Macht in Europa noch mehr schwächen. ber so eigenartig es klingen mag: Es könnte ihr die Kanzlersch­aft retten. Machen die Länder Südosteuro­pas nämlich jetzt in Eigenregie die Grenzen dicht, hätte Merkel zwar nicht die schöne gesamteuro­päische Lösung, die sie immer wollte, sondern nur die hässliche nationalst­aatliche. Aber der Weg nach Deutschlan­d wäre blockiert.

Für das vereinte Europa ist das alles katastroph­al. Es erlebt gerade das Ende eines Traums. Jedes Land errichtet seinen eigenen kleinen Zaun. Mehr als das: Mit der Abschottun­g Mazedonien­s in Richtung des krisengebe­utelten Griechenla­nd werden gerade die EU-Außengrenz­en neu gezogen. Das ist Gift für die Gemeinscha­ft und wird die garstigen Risse quer durch Europa weiter vertiefen.

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