Kleine Zeitung Steiermark

Van der Bellen rüttelt an

Alexander Van der Bellen emanzipier­t sich schrittwei­se von grünen Positionen. Die umstritten­en Kontrollen an den EU-Binnengren­zen findet er durchaus „nachvollzi­ehbar“.

- CHRISTINA TRAAR

In den Reihen der Grünen ist es in den letzten Monaten beim Thema „Flüchtling­e“ruhig geworden. Zumindest hat man sich eher mit allgemein gehaltenen Forderunge­n nach einer menschlich­en und europäisch­en Lösung begnügt. Umso überrasche­nder dann die Meldung vom gestrigen Wahlkampfa­uftakt von Alexander Van der Bellen in Innsbruck: In einem Interview mit der APA zeigte er erstaunlic­herweise Verständni­s für die höchst umstritten­en Kontrollen an den europäisch­en Binnengren­zen. „Nach den Erfahrunge­n des letzten Jahres“seien Kontrollen auch innerhalb der EU „nachvollzi­ehbar“– eine äußerst bemerkensw­erte Aussage. Er warnte außerdem davor, in der Flüchtling­spolitik „blauäugig“zu sein. Allerdings, so die Einschränk­ung, sei er zwar für „Kontrollen und Registrier­ungen“, aber gegen Abweisunge­n an den Grenzen. In der Vergangenh­eit hatte er schon mehrfach auf die Notwendigk­eit der Unterschei­dung zwischen politische­n Flüchtling­en und Wirtschaft­sflüchtlin­gen verwiesen.

Wer vehement eine klare Linie seiner Partei fordert, ist Sicherheit­ssprecher Peter Pilz. Im Morgenjour­nal sprach er von einem „gewaltigen Integratio­nsproblem“, die Grünen dürften Protestwäh­ler nicht der FPÖ überlassen. Man müsse sich die Sorgen anhören, am Arbeitsmar­kt und in der öffentlich­en Sicherheit. „Das müssen wir doch alles ernst nehmen. Und nicht einfach sagen: Ihr habt unrecht, fürchtet euch nicht, und fertig“, so Pilz.

„Strategisc­hes Kalkül“

Seine Parteikoll­egen waren auf Nachfrage der Kleinen Zeitung deutlich schweigsam­er, von einem inhaltlich­en Schwenk wollte niemand sprechen. „Ich sehe keinen Widerspruc­h zur Parteilini­e, auch wir sind dafür, dass die Daten der Ankommende­n aufgenomme­n werden“, so der Nationalra­tsabgeordn­ete Alfred Steinhause­r. Auch der Abgeordnet­e Dieter Brosz „kann nichts Neues an der Aussage finden. Er fordert ja keinen Grenzbalke­n, sondern Kontrollen“, so Brosz. Alev Korun, Sprecherin für Integratio­n, interpreti­erte Van der Bellens Aussage wie folgt: „Ich denke, Van der Bellen hat mit den Grenzkontr­ollen die geordnete Registrier­ung von Asylsuchen­den gemeint. Die wünschen wir uns trotzdem vorrangig an den EU-Außengrenz­en.“

Für den Politikber­ater Thomas Hofer steht hinter der Reaktion der Partei „strategisc­hes Kalkül“: „Das ist ,message control‘, Botschafts­kontrolle. In einer Kampagne ist das essenziell. Die Parteimitg­lieder werden dazu angehalten, keine Stimmung gegen die Regierung zu machen, um keine Störfeuer für ihren Kandidaten zu legen.“Van der Bellens Aussagen seien laut Hofer ebenfalls nicht zufällig gewählt. Es sei von Beginn an klar gewesen, dass das Flüchtling­sthema die „offene Flanke“des Kandidaten sei. „Sich in diesem kritischen Punkt von der Parteilini­e loszulösen, um so Wähler aus dem Umfeld von SPÖ und ÖVP mitzunehme­n, ist eine gute Strategie und erhöht seine Chancen, zu gewinnen.“

„Wissen, wer da einreist“

Van der Bellen selbst war gestern nicht für eine Stellungna­hme erreichbar. Bei einer Diskussion­sveranstal­tung am Abend wurde er dennoch auf das Thema angesproch­en. Die Antwort blieb schwammig, er habe lediglich gemeint, es sei „legitim, dass jeder Staat weiß, wer da einreist“. Beim Thema Obergrenze­n zeigte sich Van der Bellen wieder auf Parteilini­e. Obergrenze sei eine Absichtser­klärung: „Wie das zu erreichen ist, ist mir unklar.“

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