Van der Bellen rüttelt an
Alexander Van der Bellen emanzipiert sich schrittweise von grünen Positionen. Die umstrittenen Kontrollen an den EU-Binnengrenzen findet er durchaus „nachvollziehbar“.
In den Reihen der Grünen ist es in den letzten Monaten beim Thema „Flüchtlinge“ruhig geworden. Zumindest hat man sich eher mit allgemein gehaltenen Forderungen nach einer menschlichen und europäischen Lösung begnügt. Umso überraschender dann die Meldung vom gestrigen Wahlkampfauftakt von Alexander Van der Bellen in Innsbruck: In einem Interview mit der APA zeigte er erstaunlicherweise Verständnis für die höchst umstrittenen Kontrollen an den europäischen Binnengrenzen. „Nach den Erfahrungen des letzten Jahres“seien Kontrollen auch innerhalb der EU „nachvollziehbar“– eine äußerst bemerkenswerte Aussage. Er warnte außerdem davor, in der Flüchtlingspolitik „blauäugig“zu sein. Allerdings, so die Einschränkung, sei er zwar für „Kontrollen und Registrierungen“, aber gegen Abweisungen an den Grenzen. In der Vergangenheit hatte er schon mehrfach auf die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen politischen Flüchtlingen und Wirtschaftsflüchtlingen verwiesen.
Wer vehement eine klare Linie seiner Partei fordert, ist Sicherheitssprecher Peter Pilz. Im Morgenjournal sprach er von einem „gewaltigen Integrationsproblem“, die Grünen dürften Protestwähler nicht der FPÖ überlassen. Man müsse sich die Sorgen anhören, am Arbeitsmarkt und in der öffentlichen Sicherheit. „Das müssen wir doch alles ernst nehmen. Und nicht einfach sagen: Ihr habt unrecht, fürchtet euch nicht, und fertig“, so Pilz.
„Strategisches Kalkül“
Seine Parteikollegen waren auf Nachfrage der Kleinen Zeitung deutlich schweigsamer, von einem inhaltlichen Schwenk wollte niemand sprechen. „Ich sehe keinen Widerspruch zur Parteilinie, auch wir sind dafür, dass die Daten der Ankommenden aufgenommen werden“, so der Nationalratsabgeordnete Alfred Steinhauser. Auch der Abgeordnete Dieter Brosz „kann nichts Neues an der Aussage finden. Er fordert ja keinen Grenzbalken, sondern Kontrollen“, so Brosz. Alev Korun, Sprecherin für Integration, interpretierte Van der Bellens Aussage wie folgt: „Ich denke, Van der Bellen hat mit den Grenzkontrollen die geordnete Registrierung von Asylsuchenden gemeint. Die wünschen wir uns trotzdem vorrangig an den EU-Außengrenzen.“
Für den Politikberater Thomas Hofer steht hinter der Reaktion der Partei „strategisches Kalkül“: „Das ist ,message control‘, Botschaftskontrolle. In einer Kampagne ist das essenziell. Die Parteimitglieder werden dazu angehalten, keine Stimmung gegen die Regierung zu machen, um keine Störfeuer für ihren Kandidaten zu legen.“Van der Bellens Aussagen seien laut Hofer ebenfalls nicht zufällig gewählt. Es sei von Beginn an klar gewesen, dass das Flüchtlingsthema die „offene Flanke“des Kandidaten sei. „Sich in diesem kritischen Punkt von der Parteilinie loszulösen, um so Wähler aus dem Umfeld von SPÖ und ÖVP mitzunehmen, ist eine gute Strategie und erhöht seine Chancen, zu gewinnen.“
„Wissen, wer da einreist“
Van der Bellen selbst war gestern nicht für eine Stellungnahme erreichbar. Bei einer Diskussionsveranstaltung am Abend wurde er dennoch auf das Thema angesprochen. Die Antwort blieb schwammig, er habe lediglich gemeint, es sei „legitim, dass jeder Staat weiß, wer da einreist“. Beim Thema Obergrenzen zeigte sich Van der Bellen wieder auf Parteilinie. Obergrenze sei eine Absichtserklärung: „Wie das zu erreichen ist, ist mir unklar.“