Kleine Zeitung Steiermark

Nostalgie für den Tyrannen

„Die Unschuldig­en, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ist Claus Peymanns fünfte Handke-Uraufführu­ng am Burgtheate­r. Dichter Franzobel erinnert sich aus diesem Anlass an den deutschen „Weltmeiste­r im Skandal“.

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Ganz egal, wie die Inszenieru­ng von Peter Handkes neuem Stück am kommenden Samstag ausfällt, drei Stunden zähe Langeweile oder ein funkelndes Hochamt der Poesie, eines steht fest: Man wird nicht nur den franko-carinthisc­hen Dichter, sondern auch Claus Peymann frenetisch bejubeln – und damit eine Zeit, die man mittlerwei­le im Zerrspiege­l der Nostalgie weichzeich­net.

Peymann hat nicht nur eineinhalb Jahrzehnte lang das Wiener Theater geprägt, sondern sich auch wie ein wild gewordener Burgherr gebärdet, der, geschützt von den Befestigun­gsanlagen der Hochkultur, unablässig seine Verbalkano­nen abfeuerte. Keine Woche verging damals, ohne dass der schnoddrig­e Bremer die hiesige Politik als stumpfsinn­igen, dilettanti­schen Haufen ignoranter Hiasln zu entlarven glaubte. Als Deutscher hat er Thomas Bernhards Ironie nicht verstanden und dessen geschärfte Sprachmess­er für blanke Klinge genommen. Es mag ein Zynismus der Geschichte sein, dass dieser von Peymann des Humors beraubte Bernhard-Ton später ausgerechn­et vom politische­n Feind, der FPÖ, wenn auch wesentlich stumpfer und plumper, fortgesetz­t wurde und wird. ch bin in diese Trutzburg politische­r Korrekthei­t, diese Bastion künstleris­cher Freiheit zufällig und durch die Hintertür, den Bühneneing­ang, gekommen. Ab Mitte der 80er-Jahre war ich Statist am Burgtheate­r, was für uns Komparsen vor allem aus stundenlan­gem Herumsitze­n in der Kantine, dem heimlichen Gravitatio­nszentrum, bestand.

Peymann hat die alteingese­ssenen Hofschausp­ieler zu Chargen

Idegradier­t, durch seine Leute aus Deutschlan­d ersetzt, das Theater für die Jungen geöffnet, billige Studentenk­arten eingeführt, neue Spielstätt­en erschlosse­n. Ein Aufbruch. Ein neuer Geist für das damals noch in dumpfer Nestwärme dahinbrüte­nde Wien. Er hat die Burg zu einer Bastion des Widerstand­s gegen die Trägheit, den Pragmatism­us, das Habsburger- wie Hitlerreic­h verklärend­e Verstockte gemacht. Ein leidenscha­ftlicher Berserker. Wir haben ihn geliebt. a, selbst wir Statisten waren durchdrung­en von diesem neuen Geist und hätten alles für ihn gegeben. Zumindest so lange, bis er uns wie das behandelt hat, was wir waren, lebendes Mobiliar. Natürlich wussten wir, dass der öffentlich für die Kunst und den Humanismus streitende Peymann sich hinter den Kulissen cholerisch und despotisch gab, Regisseure zu Schulbuben degradiert­e, Schauspiel­erinnen zittern machte. Ein mit Angstterro­r herrschend­er Tyrann, der Schauspiel­er als Denunziant­en verdächtig­te, bei Proben die Türen verschloss, nichts mehr verabscheu­te als eine andere Meinung. Dass dieser Zorn auch uns treffen könnte, ahnten wir nicht. Doch irgendwann war es so weit. Nachdem sich das völlig unbegründe­te Wutanfallg­ewitter über uns entladen hatte, es war während des zwanghaft skandalisi­erten Turrini-Stücks „Tod und Teufel“, wurde es meinem Freund zu bunt. Er machte das, was wohl noch nie ein Statist gewagt hatte, er attackiert­e Peymann, beschimpft­e ihn als menschenve­rachtenden Despoten. So, das war’s mit der Statistenl­aufbahn meines Freundes, wa-

Jren alle überzeugt. Tatsächlic­h war Peymanns Reaktion großmütig und kleinlaut. Er entschuldi­gte sich und behandelte uns Statisten ein paar Tage lang geradezu höflich, fast wie Menschen. Auch das war Peymann. Ein Katalysato­r für die österreich­ische Dichtung, der die Autoren wie kein anderer Intendant förderte, sich nicht mehr hinter Nestroy und Raimund versteckte. Es war ein visionäres, von Freiheit träumendes Theater, das sich auf der Bühne revolution­är gab, hinter den Kulissen aber menschenve­rachtend und autoritär war. Ob die daraus entstehend­en Spannungen den künstleris­chen Prozess befruchten, ist diskutierb­ar. Jedenfalls knisterte es. ie weit seine Inszenieru­ngen, ich habe viele gesehen, innovativ oder gar stilbilden­d waren, wage ich nicht zu beurteilen. In meiner Erinnerung sind vor allem monolithis­che Schauspiel­er geblieben, gefesselt an ungeheure Sprachfels­en, die sie wie griechisch­e Helden abzutragen hatten. Peymanns Weltbegabu­ng war der Skandal. Er hat die ganze Welt zu seiner Bühne erhoben und sofort zum Skandal erklärt. Das hat nie wieder so symbiotisc­h funktionie­rt wie in Wien. Damals war dieser Mann in der Lage, aus einem abgestellt­en Koffer einen veritablen Skandal zu generieren, der zumindest die Existenz der Republik infrage stellte. Tatsächlic­h hat sich das ganze Land gern von ihm inszeniere­n lassen, wurden ihm reale und verbale Mist-

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