Erotischer Grenzgänger
Eine umfassende Ausstellung des mythenumrankten Malers Balthus zeigt Erwartetes, aber auch die eigensinnige Vielfalt dieses Künstlers.
Es ist eine in zweifacher Hinsicht verstörende Schau. Zum einen versteht man vorerst nicht, warum die auf den ersten Blick relativ sittsamen Mädchenbilder dieses Mannes so viel Erregung ausgelöst haben. Und zum anderen erschließt sich auch nicht unverzüglich der Mythos, der diesen Künstler umgibt.
Balthasar Klossowski de Rola, genannt Balthus, 1908 geboren in Paris, war zeitlebens von Künstlern umgeben. Die Eltern waren beide Maler, nach etlichen Wanderjahren kehrte er nach Frankreich zurück und hatte dort alsbald Umgang mit Größen wie Rainer Maria Rilke, Antonin Artaud, Salvador Dalí, Pablo Picasso, Joan Miró, Alberto Giacometti und anderen mehr.
Den damals in Mode
stehen- den Stilen Surrealismus und Kubismus verweigerte er sich aber standhaft; vielleicht war es ebendieses Einzelgängerische, das ihn unter seinesgleichen so überirdisch groß werden ließ.
Zum anderen erschließt sich die Erotik seiner Modelle auf den zweiten Blick in einer fast erschreckenden Art. Vorzugsweise sind sie „in between“, wie man auf Englisch jene Phase der Adoleszenz nennt, in der ein Kind langsam ins Erwachsene driftet. Und das wirft halt in manchen (Männer?)-Gehirnen Fantasien an, die man dann ganz gerne durch Kunstsinnigkeit legitimiert weiß. Damit ist Balthus in direkter Nähe von Lewis Carroll.
Dass Tony Curtis oder Mick Jagger Balthus in späten Jahren in dessen Schweizer Grand Chalet in Rossinière ihre persönliche Aufwartung machten, mag durchaus mit diesem ästhetischen Grenzgang zu tun haben. Und auch U2-Sänger Bono war fasziniert, er steuerte im Februar 2001 die Musik zu Balthus’ Begräbnis.
Die aktuelle Ausstellung ist umfänglich bestückt und zeigt die eigensinnige Vielfältigkeit des Malers: Exakt strukturierte Straßenszenen wechseln mit grazil hingeworfenen Landschaften mit teils fernöstlicher Stilistik, strengen Porträts und den erwähnten juvenilen Akten.
Ebenfalls zu sehen sind einige der seriellen Polaroids, die Balthus über acht Jahre hinweg von der anfangs achtjährigen, stets mäßig bekleideten Anna Wahli machte. 2400 sollen es insgesamt gewesen sein. Balthus, Kunstforum Wien, täglich 10 bis 19 Uhr, freitags 21 Uhr. Bis 19. Juni. www.kunstforumwien.at