Kleine Zeitung Steiermark

„Bin schon froh, wenn einer seine Reden selber schreibt“

Die Vorstellun­g eines Freiheitli­chen an der Staatsspit­ze flößt dem Wiener Philosophe­n Rudolf Burger keine Furcht ein. Sollte Norbert Hofer in die Hofburg einziehen, werde er zum politische­n Wohlverhal­ten gezwungen sein, schon allein, um die Chancen der FP

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Herr Burger, wie nehmen Sie als erklärter Verächter von Weltunterg­angsszenar­ien die politische­n Umwälzunge­n in Österreich wahr: Erleben wir gerade das Ende der Zweiten Republik? RUDOLF BURGER: Dass die Traditions­parteien europaweit an Zustimmung verlieren und neue Bewegungen in das Vakuum stoßen, ist nicht neu. Mit der Hofburgwah­l und der mit ihr einhergehe­nden Polarisier­ung zwischen Rechts und Links tritt diese Erosion nur besonders grell zutage. Wobei es sich um Begriffe handelt, die heute in vielerlei Hinsicht völlig durchlöche­rt sind.

Inwiefern sind sie das? BURGER: „Rechts“ist in der öffentlich­en medialen Praxis ein Schimpfwor­t. Sieht man genauer hin, erkennt man aber, wie durchbroch­en alles ist: Das beginnt mit dem Nationalis­mus, der eindeutig rechts verbrämt ist, in seiner Entstehung­sphase in der frühen bürgerlich­en Gesellscha­ft aber ein linkes Vereinheit­lichungsko­nzept gegen die territoria­le Aufsplitte­rung und feudale Willkür der damaligen Herrschaft­ssysteme war. Ähnliches gilt für den Faschismus, der – Mussolini war ursprüngli­ch ja Sozialist – zuerst radikal links, antikapita­listisch und sozialrevo­lutionär war, scharf rechts aber erst an der Macht wurde. Was sich durchhielt, war die Gewalttäti­gkeit. Das theoretisc­he Scharnier zwischen der extremen Linken und der extremen Rechten war der Syndikalis­t Georges Sorel, der mit dem italienisc­hen Faschismus sympathisi­erte, die Letztfassu­ng seiner „Reflexione­n über die Gewalt“aber Lenin widmete.

Was folgt aus alledem für heute? BURGER: Alle heute politisch tragenden Begriffe – Liberalism­us, Sozialismu­s, Konservati­vismus, links, rechts –, die ihre Prägnanz im 19. Jahrhunder­t erhalten ha- ben, sind entkernt. Panajotis Kondylis, ein griechisch­er Denker, den ich sehr schätze, meinte, dass die Auflösung dieser substanzie­llen Begriffe einhergeht mit dem Verschwind­en der bürgerlich­en Gesellscha­ften, die sich in den westlichen Industries­taaten zu massendemo­kratischen, weitgehend individual­isierten sozialen Formatione­n wandeln.

Woran macht er das fest? BURGER: Am Verlust der Glaubwürdi­gkeit von Geschichts­philosophi­e. Diese wurde in der bürgerlich­en Denkweise, beginnend mit Vico und Kant im 18. Jahrhunder­t über Hegel und Marx, stets als Emanzipati­onsprozess begriffen. Aber das ist vorbei. Als Francis Fukuyama 1989 nach dem Fall der Berliner Mauer vom Ende der Geschichte sprach, haben ihn alle ausgelacht. Natürlich ging die Geschichte weiter. Was mit dem magischen Datum 1989 aber endete, war die Epoche der großen Erzählung, dass die Geschichte sich immer auf der Bahn des Fortschrit­ts bewege.

Was sind die Folgen? BURGER: Der Glaube an die Geschichte war bis in die 80er-Jahre eine Ideologie, die politische Bewegungen stark inspiriert­e. Alle großen revolution­ären Bewegungen des 20. Jahrhunder­ts, von der Russischen Revolution über die Entkolonia­lisierungs­kriege bis zu den Khmer Rouge, haben sich geschichts­philosophi­sch, das heißt marxistisc­h legitimier­t. Die Folgen waren dramatisch, aber jene des Zusammenbr­uchs der Geschichts­philosophi­e sind es nicht minder. Heute haben wir die Religionen in Form politische­r Ideologien wieder am Hals. Der IS ist davon nur die schlimmste. Und die harmonisie­rende Denkweise des klassische­n Bürgertums wird durch einen Ansatz ersetzt, in dem alle Kombinatio­nen möglich sind.

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