ZUR PERSON
Also Linksnationalisten wie Alexis Tsipras und „soziale Heimatparteien“wie die FPÖ. Erklärt das wirklich zur Gänze den sagenhaften Aufstieg der Freiheitlichen? BURGER: Drehen wir die Frage um! Wie ist es möglich, dass über Jahrzehnte zwei in ihrer Ideologie so grundverschiedene Parteien wie die einst proletarische SPÖ und die christlich-bürgerliche ÖVP stabil an der Macht bleiben, noch dazu den größten Teil davon in Großen Koalitionen?
Wollen Sie damit sagen, dass die politischen Umbrüche in Österreich eine Normalisierung sind? BURGER: Erklärungsbedürftig ist nicht das Ende des Systems, sondern seine lange Stabilität. Und die wurde nur unter massiver Mobilisierung der Geschichte für politische Zwecke aufrechterhalten. So auch jetzt. So schreibt der Chefredakteur des „Falters“, das Amt des Bundespräsidenten sei präfaschistisch. Er meinte damit offenbar, es sei undemokratisch. Aber das ist grotesk. Wenn das Amt eines ist, dann demokratisch. Der Präsident ist der einzige staatliche Spitzenrepräsentant, der vom „Demos“, vom Volk direkt legitimiert ist. Man kann darüber streiten, ob das gut ist. Was ich aber für unanständig halte, ist, dass man das Amt in dem Moment als präfaschistisch bezeichnet, da es womöglich mit jemandem besetzt wird, der einem politisch nicht in den Kram passt.
Ist es ein in seiner Machtfülle potenziell gefährliches Amt? BURGER: Ich sehe zuallererst die Ironien in der Debatte. Als Klestil 1992 mit dem Slogan „Macht braucht Kontrolle“für die Hofburg antrat, freuten sich alle auf einen starken Präsidenten. Jetzt malt man den Teufel an die Wand.
Heißt das, ein Präsident Hofer würde Sie nicht schrecken? BURGER: Was soll mich daran erschrecken? Hofer wird gut bera- Rudolf Burger, geboren am 8. Dezember 1938 in Wien, ist einer der renommiertesten Philosophen Österreichs. Er studierte Physik und leitete von 1973 bis 1990 die Abteilung für sozial- und geisteswissenschaftliche Forschung im Wissenschaftsministerium in Wien. Ab 1987 lehrte er Philosophie an der Universität für Angewandte Kunst, deren Rektor er von 1995 bis 1999 war. Als er sich 1992 ge- ten sein, ganz besonders zurückhaltend zu agieren und sich an die für das Amt herausgebildeten Konventionen zu halten, und zwar aus dem einfachen Grund, weil die FPÖ die nächste Nationalratswahl gewinnen will.
Vielleicht wollen die Österreicher wirklich jemanden, der endlich einmal auf den Tisch haut. BURGER: Nein, ganz sicher nicht.
Was wollen die Leute dann? BURGER: Lassen wir die Kirche im Dorf! Was zur Wahl steht, sind ein junger Mann, der nach einem Sportunfall gehbehindert ist, und ein alter Mann, der wie ich starker Raucher ist. Der Rest ist Propaganda. Wissen Sie, es wird ja viel angespielt auf den Faschismus. Und es gibt unglaublich viel Literatur zum Thema, zu Neofaschismus, Pseudofaschismus und so weiter. In Österreich ist die Definition dagegen glasklar. Bei uns droht Faschismus immer dann und nur dann, wenn die Gefahr besteht, dass die SPÖ nicht in der Regierung ist. Punkt. Als sich Kreisky von einem SSSturmführer mit sinistrer Vergangenheit in den Sattel heben ließ und vier Nazis in die Regierung holte, drohte der Faschismus seltsamerweise nicht.
Lassen sich mit dem Heraufbeschwören faschistischer Gefahr noch immer die Massen mobilisieren wie im Jahr 2000 gegen die erste schwarz-blaue Regierung? BURGER: Lichterkettchen gehen sich immer aus. Der Rest ist Geschichte, weil die Generalmobilmachung Europas nicht mehr hinhaut. Sehen Sie doch nur, was sich in Frankreich abspielt, in Polen, den Niederlanden und in Großbritannien! Die haben andere Sorgen. Der Einzige, der sich lautstark gemeldet hat, war SPD-Vorsitzender Gabriel, der mit einem Fuß im politischen Grab steht. gen die „Kriegsgeilheit“Österreichs im Jugoslawienkrieg wandte, sorgte das für ebenso großes Aufsehen wie sein Essay „Irrtümer der Gedenkpolitik“. Zum Lieblingsfeind der Linken machte Burger sich, als er 2000 die Proteste gegen Schwarz-Blau als „antifaschistischen Karneval“verspottete. Zuletzt erschien von ihm bei Zsolnay: Der Triumph des Liberalismus. Ein Nachruf (2011).
Braucht es das Bundespräsidentenamt überhaupt? BURGER: Darüber streiten die Verfassungsrechtler. Ich halte einen Bundespräsidenten als Repräsentationsfigur durchaus für angemessen. Ich glaube aber nicht, dass eine Volkswahl richtig ist. Ich würde mir ein Prozedere wie in Deutschland wünschen. Dass die Bundesversammlung das Staatsoberhaupt wählt.
Warum keine Volkswahl? BURGER: Weil das Amt Potenziale birgt, die seinen Inhaber unter Umständen gefährlich machen könnten. Das ist jetzt nicht der Fall. Andererseits leben wir in Zeiten, da die parlamentarischen Mehrheiten immer versatiler werden und alles auf einen Zustand der Unregierbarkeit zusteuert. Da kann ein starker, demokratisch legitimierter Präsident als Gegenpol durchaus von Vorteil sein. Vorbilder gibt es. Ich denke an De Gaulle, der in Frankreich mit Bravour den Übergang von den desaströsen Verhältnissen der Vierten in die Fünfte Republik gemeistert und als starker Präsident dann den Algerienkrieg beendet und eine kraftvolle Europapolitik gemacht hat.
Was ist eigentlich Ihr Idealbild von einem Bundespräsidenten? BURGER: Der einzige Bundespräsident, den ich gemocht habe, war der Körner. Der hat mich von seinem Habitus und seiner Biografie als ehemaliger k. u. k. Offizier her beeindruckt. Das war ein mutiger Mann mit klaren Konturen. Der Rest war mir gleichgültig. Heute wäre ich schon zufrieden, wenn es jemand wäre, der in der Lage ist, sich seine Reden selber zu schreiben. Das wäre ein Novum in der Zweiten Republik. Das wäre schön.