Hinreißend erzählte Story von Liebe und Tod
Die Salzburger „West Side Story“bietet alles, was das Genre Musical hat und kann. Und eine Überraschung: Cecilia Bartoli als Witwe Maria.
SALZBURG. Draußen? Regen, Schnürlegen² natürlich. Drinnen? Nebel, Bühnennebel natürlich. Dazu Großstadtgehupe, Graffitiwände. Und die Felsenreitschule hat schon vieles gesehen: schießende Soldaten, schreitende Pferde, palmersbestrapste Damen. Aber eine Subway noch nie.
New York in den 50ern. Leonard Bernstein zeigt in der „West Side Story“, wie aus Streit Kampf, aus Kampf Krieg, aus Krieg Tod wird. Früher waren es die Veroneser Familien Montagues und Capulets, die aus Hass die Anderen und die Ihren direttissimo ins Verderben stürzten. Nun sind es die Jets und die Sharks, Gangs aus Manhattan. Amis treffen auf Puertoricaner. Trifft sich nicht gut. Rassismus ist immer und überall. Und zertrümmert auch das Größte, die Liebe – selbst jene von Romeo und Julia, die im 1957 uraufgeführten Musical Tony und Maria heißen.
Des Rätsels Lösung
Cecila Bartoli hat als Intendantin der Pfingstfestspiele Shakespeares berühmtes Liebesdrama entlang wieder eines ihrer immer so sinnigen wie sinnlichen Programme entworfen. Dass die bald 50-jährige Römerin ankündigte, im Kernstück „West Side Story“die mädchenhafte Maria selbst zu spielen, ließ manche rätseln. Die Auflösung stellte sich bei der Premiere am Freitag langsam ein. Da geisterte zwischen Brautmodengeschäft und Docs Drugstore ein Schatten durch die raffinierten Schiebeund Hebekulissen (George Tsy- pin): Bartoli als Witwe Maria, die voll Wehmut auf ihre auf den Abgrund zusteuernde Liebesgeschichte mit Tony zurückblickt.
Philip Wm. McKinley, der sich am Broadway schon viel Lorbeer holte, hat die Produktion mit diesem Kniff auf den römischen Opernstar zugeschnitten. Sonst orientiert sich der 63-Jährige aus Illinois häufig an der mit zehn Oscars gekrönten Verfilmung mit Natalie Wood und Richard Beymer aus 1961. Was gar keine Einschränkung ist. Nur erweitert durch die Erinnerungsfigur Maria I, die die entzückend schauspielende Michelle Veintimilla als Maria II ergänzt, bietet McKinleys Inszenierung alles „klassisch“auf, was Musical an sich und das an die Oper angrenzende Werk von Bernstein speziell hat und kann: süße und Schärfe, intime Momente und rasende Choreographien (von Liam Steel und seiner fast 40-köpfigen Truppe brillant umgesetzt).
Bartolis hochdramatischer Mezzosopran geht weit über das hinaus, was eine Maria braucht, und doch weiß sie einmal mehr unter die Haut zu singen. US-Tenor Norman Reinhardt liefert als souveräner Tony die zweite große Opernstimme. Dass bei gut ausgesteuerter Mikro-Verstärkung ein bisschen Dreck in der Gurgel im Genre nützt, demonstrieren als mit Adrenalin und Testosteron aufgepumpte Bandenführer George Akram (Bernardo) und Dan Burton (Riff ), vor allem aber umwerfend Karen Olivo als rotzfreche bis verzweifelte Schneiderin Anita.
Aus dem Graben klingt es anfangs verhalten, wohl auch aus Respekt vor den nicht nur rhythmischen Schnappfallen in Bernsteins Partitur. Aber zwischen „Mambo“und „I Feel Pretty“laufen auch Feuerkopf Gustavo Dudamel und sein Simón Bolívar Symphony Orchestra of Venezuela zu Hochform auf und lassen es funken und sprühen. Der Broadway ist jedenfalls an der Salzach angekommen. Oder wie man als Jet wohl zusammenfassen würde: „Real cool, boy!“ Sämtliche Aufführungen heute sowie bei den Festspielen im August sind ausverkauft. Wertung: