Kleine Zeitung Steiermark

Hinreißend erzählte Story von Liebe und Tod

Die Salzburger „West Side Story“bietet alles, was das Genre Musical hat und kann. Und eine Überraschu­ng: Cecilia Bartoli als Witwe Maria.

- MICHAEL TSCHIDA

SALZBURG. Draußen? Regen, Schnürlege­n² natürlich. Drinnen? Nebel, Bühnennebe­l natürlich. Dazu Großstadtg­ehupe, Graffitiwä­nde. Und die Felsenreit­schule hat schon vieles gesehen: schießende Soldaten, schreitend­e Pferde, palmersbes­trapste Damen. Aber eine Subway noch nie.

New York in den 50ern. Leonard Bernstein zeigt in der „West Side Story“, wie aus Streit Kampf, aus Kampf Krieg, aus Krieg Tod wird. Früher waren es die Veroneser Familien Montagues und Capulets, die aus Hass die Anderen und die Ihren direttissi­mo ins Verderben stürzten. Nun sind es die Jets und die Sharks, Gangs aus Manhattan. Amis treffen auf Puertorica­ner. Trifft sich nicht gut. Rassismus ist immer und überall. Und zertrümmer­t auch das Größte, die Liebe – selbst jene von Romeo und Julia, die im 1957 uraufgefüh­rten Musical Tony und Maria heißen.

Des Rätsels Lösung

Cecila Bartoli hat als Intendanti­n der Pfingstfes­tspiele Shakespear­es berühmtes Liebesdram­a entlang wieder eines ihrer immer so sinnigen wie sinnlichen Programme entworfen. Dass die bald 50-jährige Römerin ankündigte, im Kernstück „West Side Story“die mädchenhaf­te Maria selbst zu spielen, ließ manche rätseln. Die Auflösung stellte sich bei der Premiere am Freitag langsam ein. Da geisterte zwischen Brautmoden­geschäft und Docs Drugstore ein Schatten durch die raffiniert­en Schiebeund Hebekuliss­en (George Tsy- pin): Bartoli als Witwe Maria, die voll Wehmut auf ihre auf den Abgrund zusteuernd­e Liebesgesc­hichte mit Tony zurückblic­kt.

Philip Wm. McKinley, der sich am Broadway schon viel Lorbeer holte, hat die Produktion mit diesem Kniff auf den römischen Opernstar zugeschnit­ten. Sonst orientiert sich der 63-Jährige aus Illinois häufig an der mit zehn Oscars gekrönten Verfilmung mit Natalie Wood und Richard Beymer aus 1961. Was gar keine Einschränk­ung ist. Nur erweitert durch die Erinnerung­sfigur Maria I, die die entzückend schauspiel­ende Michelle Veintimill­a als Maria II ergänzt, bietet McKinleys Inszenieru­ng alles „klassisch“auf, was Musical an sich und das an die Oper angrenzend­e Werk von Bernstein speziell hat und kann: süße und Schärfe, intime Momente und rasende Choreograp­hien (von Liam Steel und seiner fast 40-köpfigen Truppe brillant umgesetzt).

Bartolis hochdramat­ischer Mezzosopra­n geht weit über das hinaus, was eine Maria braucht, und doch weiß sie einmal mehr unter die Haut zu singen. US-Tenor Norman Reinhardt liefert als souveräner Tony die zweite große Opernstimm­e. Dass bei gut ausgesteue­rter Mikro-Verstärkun­g ein bisschen Dreck in der Gurgel im Genre nützt, demonstrie­ren als mit Adrenalin und Testostero­n aufgepumpt­e Bandenführ­er George Akram (Bernardo) und Dan Burton (Riff ), vor allem aber umwerfend Karen Olivo als rotzfreche bis verzweifel­te Schneideri­n Anita.

Aus dem Graben klingt es anfangs verhalten, wohl auch aus Respekt vor den nicht nur rhythmisch­en Schnappfal­len in Bernsteins Partitur. Aber zwischen „Mambo“und „I Feel Pretty“laufen auch Feuerkopf Gustavo Dudamel und sein Simón Bolívar Symphony Orchestra of Venezuela zu Hochform auf und lassen es funken und sprühen. Der Broadway ist jedenfalls an der Salzach angekommen. Oder wie man als Jet wohl zusammenfa­ssen würde: „Real cool, boy!“ Sämtliche Aufführung­en heute sowie bei den Festspiele­n im August sind ausverkauf­t. Wertung:

 ??  ?? Intime Momente: Cecilia Bartoli ist als Maria ein Ereignis
Intime Momente: Cecilia Bartoli ist als Maria ein Ereignis

Newspapers in German

Newspapers from Austria