Komme, wer wolle
Mit Blick auf die HofburgEntscheidung am Sonntag wirbt Außenminister Sebastian Kurz in Jerusalem um ein bestmögliches Einvernehmen mit Israel.
Unbarmherzig sticht die Sonne vom wolkenlosen Himmel und taucht die kahlen Hügel rund um Jerusalem in gleißendes Licht. Doch in die fensterlose „Halle der Erinnerung“dringt kein Tageslicht. Nur eine flackernde Flamme wirft ihre unruhigen Schatten auf die aus mächtigen Felssteinen zusammengefügten Mauern und auf den schwarzen Basaltboden, in den 21 Namen eingraviert sind: Sobibor, Treblinka, Majdanek, Bergen-Belsen, Belzec, Struthof, Auschwitz, Mauthausen . . .
Es sind die Schreckensstätten der Schoah, des millionenfachen nationalsozialistischen Mordes an den europäischen Juden, denen Israel in Yad Vashem einen einzigartigen nationalen Gedächtnisschrein errichtet hat. Und Außenminister Sebastian Kurz ist gekommen, um sich vor den Opfern zu verneigen.
Das tut nahezu jeder Staatsgast, der nach Jerusalem kommt. Aber diesmal wiegt die Last der Erinnerung besonders schwer. Denn unverhältnismäßig viele Nazischergen, manche sagen sogar die schlimmsten, waren Österreicher. Und diese schuldhafte Verstrickung sowie der schludrige Umgang des offiziellen Österreich damit haben neben der betont palästinenserfreundlichen Politik Bruno Kreiskys in den 1970er- und -80er-Jahren lange Zeit das Verhältnis zwischen Ös- terreich und Israel getrübt. Kurz weiß das natürlich. Und er weiß, dass seine zweitägige Visite in Jerusalem, die eigentlich das 60jährige Bestehen bilateraler Beziehungen zwischen den beiden Ländern zum Anlass hat, in diesen Tagen durch die HofburgWahl noch eine ganz andere, zusätzliche Brisanz erhält. Erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik könnte mit Norbert Hofer ein Freiheitlicher am kommenden Sonntag zum Bundespräsidenten gewählt werden.
Schadensminimierung
Wie würde Israel auf dieses politische Erdbeben reagieren? Das ist die große Frage, die ihre langen Schatten auch auf Kurz’ Nahost-Reise zu Pfingsten wirft. Diskret versucht Österreichs Diplomatie vorzubauen und möglichen Schaden vom Land abzuwenden. Egal ob in Yad Vashem, wo der Minister in der „Halle der Erinnerung“einen aus roten und weißen Blumen geflochtenen Kranz niederlegt, beim Treffen mit Israels Premierminister Benjamin Netanjahu oder vor österreichischen Holocaust-Überlebenden: Der Außenminister wird nicht müde, Österreichs besondere Verantwortung vor der Geschichte zu betonen: „Unsere Aufgabe ist es, niemals zu vergessen“. Das sage er als junger Mensch, der noch das Glück gehabt habe, Überlebende des Holocaust persönlich kennenzulernen, erklärt er in Yad Vashem. Gleichzeitig streicht er unablässig hervor, wie viel Österreich an exzellenten und amikalen Beziehungen zu Israel gelegen sei. Und die israelische Seite? Hält sich bedeckt. „Der Premier- habe dem Außenminister verboten, Fragen zu beantworten“, scherzt Netanjahu, der beide Regierungsämter in Personalunion innehat. Wie jedoch in Delegationskreisen zu hören ist, soll der Likud-Politiker sich akkurat nach den Kompetenzen des Bundespräsidenten erkundigt haben.
Dass Israel nach bedeutsamen Wahlen in Österreich auch anders kann, hat es in der Vergangenheit zweimal bewiesen. Sowohl 1986, nach der Wahl von Kurt Waldheim zum Bundespräsidenten, als auch nach der schwarz-blauen Wende 2000 zog man den Botschafter aus Wien ab.
Kurz weiß nach seinem Austausch mit Netanjahu aber zu berichten, dass Israel am Status quo seines freundschaftlichen Ver- hältnisses zu Österreich nach dem 22. Mai aller Voraussicht nach nichts ändern werde.
Israels EU-Frust
Wie sich ein Zigarre rauchender Netanjahu dem Vernehmen nach gegenüber dem Besuch aus Wien überhaupt über ganz andere Dinge echauffiert haben soll: über Frankreichs neue Nahost-Initiative und die Ankündigung aus Paris, Palästina auch dann anzuerkennen, sollten die Gespräche scheitern. Und über die ignorante Haltung der EU, die Israels Rolle als Bollwerk der Stabilität in der von Chaos und Zerfall gezeichneten Region zu wenig würdige, sich lieber in die Siedlerproblematik verbeiße und darüber den Blick für das Große und Ganze verliere. Österreich nahm der israelische Premier davon explizit aus, was im Fall der Pariser Nahost-Pläne wohl daran liegen dürfte, dass Wien stets beteuert hat, eine Anerkennung Palästinas