Kern wagt den Befreiungsschlag
Der neue Kanzler bricht mit seinem Vorgänger.
Es wäre nicht Christian Kern, wenn er seine Amtszeit nicht mit einem Paukenschlag begonnen hätte. Mit einer beispiellosen Abrechnung mit seinem Vorgänger startete der bisherige ÖBBGeneraldirektor seine Politkarriere. Der alten Regierung „Machtversessenheit und Zukunftsvergessenheit“vorzuwerfen bzw. deren „Sprache, Rituale, Inhaltslosigkeit“als Antrieb für seinen Einstieg in die Politik zu bezeichnen, ist ein starkes Stück.
Nicht nur rhetorisch und vom Habitus her, auch inhaltlich und mit seinem unbändigen Gestaltungswillen verkörpert Kern die Antithese zum bisherigen Kanzler. Der durchwegs auch von Ehrgeiz und Eitelkeit getriebene Kern will nicht als Moderator des Stillstands, sondern als Motor des Aufbruchs in die Annalen eingehen, und das ist gut so. Viel zu lang hat sich die Regierung auf den Lorbeeren der Vergangenheit ausgeruht. In letzter Zeit geriet vieles ins Rutschen, als international tätiger Ex-Ma- nager weiß Kern, dass das ein böse Ende nehmen kann.
Auch in der Zusammensetzung seines Teams bricht Kern mit seinem Vorgänger, der sich nur mit Vertrauten umgeben und in der Schlussphase eingebunkert hat. Statt ausschließlich parteipolitische Befindlichkeiten zu bedienen, wagt Kern einen Befreiungsschlag. So gehören seinem Team drei Oberösterreicher, aber kein Niederösterreicher an. Ein solches Wagnis wäre Faymann nie eingegangen.
Mit Hammerschmid, Drozda und Duzdar holt er drei Quereinsteiger in die Regierung. Die Nominierung von Jörg Leichtfried, einem Gewerkschafter, gehorcht am ehesten der alten Logik. In einem Punkt bricht Kern zu völlig neuen Ufern auf: Erstmals zieht eine Österreicherin mit Migrationshintergrund in die Regierung ein. Österreich ist auf diesem Gebiet europäischer Nachzügler, bei einem Migrantenanteil von über 15 Prozent ein überfälliger Schritt.
Die Kür von Muna Duzdar zur Staatssekretärin, die sich als Kritikerin des FaymannSchwenks einen Namen gemacht hat, ist ein Signal an die Willkommenskultur. Kern deutete an, an einer Abschottungspolitik mit menschlichem Antlitz festhalten zu wollen. b Kern den selbst gesteckten Erwartungen gerecht wird, ist offen. Gusenbauer wurde bald demontiert, weil er sich’s mit den eigenen Leuten verscherzte. Um zu reüssieren, muss auch die ÖVP mitspielen. Kern hat allerdings keine andere Wahl, als aufs Ganze zu gehen. Für SPÖ und ÖVP ist es die letzte Chance, wollen beide nicht nach der Wahl in die Bedeutungslosigkeit versinken.
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