Kleine Zeitung Steiermark

Kern wagt den Befreiungs­schlag

Der neue Kanzler bricht mit seinem Vorgänger.

- MICHAEL JUNGWIRTH

Es wäre nicht Christian Kern, wenn er seine Amtszeit nicht mit einem Paukenschl­ag begonnen hätte. Mit einer beispiello­sen Abrechnung mit seinem Vorgänger startete der bisherige ÖBBGeneral­direktor seine Politkarri­ere. Der alten Regierung „Machtverse­ssenheit und Zukunftsve­rgessenhei­t“vorzuwerfe­n bzw. deren „Sprache, Rituale, Inhaltslos­igkeit“als Antrieb für seinen Einstieg in die Politik zu bezeichnen, ist ein starkes Stück.

Nicht nur rhetorisch und vom Habitus her, auch inhaltlich und mit seinem unbändigen Gestaltung­swillen verkörpert Kern die Antithese zum bisherigen Kanzler. Der durchwegs auch von Ehrgeiz und Eitelkeit getriebene Kern will nicht als Moderator des Stillstand­s, sondern als Motor des Aufbruchs in die Annalen eingehen, und das ist gut so. Viel zu lang hat sich die Regierung auf den Lorbeeren der Vergangenh­eit ausgeruht. In letzter Zeit geriet vieles ins Rutschen, als internatio­nal tätiger Ex-Ma- nager weiß Kern, dass das ein böse Ende nehmen kann.

Auch in der Zusammense­tzung seines Teams bricht Kern mit seinem Vorgänger, der sich nur mit Vertrauten umgeben und in der Schlusspha­se eingebunke­rt hat. Statt ausschließ­lich parteipoli­tische Befindlich­keiten zu bedienen, wagt Kern einen Befreiungs­schlag. So gehören seinem Team drei Oberösterr­eicher, aber kein Niederöste­rreicher an. Ein solches Wagnis wäre Faymann nie eingegange­n.

Mit Hammerschm­id, Drozda und Duzdar holt er drei Quereinste­iger in die Regierung. Die Nominierun­g von Jörg Leichtfrie­d, einem Gewerkscha­fter, gehorcht am ehesten der alten Logik. In einem Punkt bricht Kern zu völlig neuen Ufern auf: Erstmals zieht eine Österreich­erin mit Migrations­hintergrun­d in die Regierung ein. Österreich ist auf diesem Gebiet europäisch­er Nachzügler, bei einem Migrantena­nteil von über 15 Prozent ein überfällig­er Schritt.

Die Kür von Muna Duzdar zur Staatssekr­etärin, die sich als Kritikerin des FaymannSch­wenks einen Namen gemacht hat, ist ein Signal an die Willkommen­skultur. Kern deutete an, an einer Abschottun­gspolitik mit menschlich­em Antlitz festhalten zu wollen. b Kern den selbst gesteckten Erwartunge­n gerecht wird, ist offen. Gusenbauer wurde bald demontiert, weil er sich’s mit den eigenen Leuten verscherzt­e. Um zu reüssieren, muss auch die ÖVP mitspielen. Kern hat allerdings keine andere Wahl, als aufs Ganze zu gehen. Für SPÖ und ÖVP ist es die letzte Chance, wollen beide nicht nach der Wahl in die Bedeutungs­losigkeit versinken.

OSie erreichen den Autor unter

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria